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92 VI. Griechische Kultstätten

besonders schöne Frucht aber trugen sie kurz vor Torschluß (1869)
durch die Aufdeckung eines etwas tiefer gelegenen und daher
besser erhaltenen Teiles des Hauses der Livia oder des Oermanicus.
Drei gewölbte Räume wiesen hier noch ihren malerischen Wand-
schmuck auf, so fein und so eigenartig, wie Herculaneum und
Pompeji nichts aufzuweisen hatten. Die ganze Bedeutung des
Fundes sollte erst allmählich klar werden.

So fehlte es also dem siebenten Jahrzehnt — auch abgesehen
von den am Schlüsse des vorigen Kapitels aufgezählten Ent-
deckungen, die großenteils erst später zur Veröffentlichung kamen
— nicht ganz an neuen Funden; aber doch ward eine Stockung
bemerkbar. Dadurch ward die Frage nahe gelegt: Was war bis-
her erreicht? Wie hatte sich durch diese lange Reihe von Ent-
deckungen unser Antikenbestand verändert? Was hatte die Wissen-
schaft dadurch gewonnen?

Zu Anfang des Jahrhunderts hatte die Archäologie fast nur
mit römischem Material gearbeitet; jetzt waren beinahe alle Um-
länder des Mittelmeeres, das ganze griechische Gebiet von Sicilien
bis Kleinasien, in den Kreis der Betrachtung gezogen, durch
Reisen, Untersuchungen, Ausgrabungen der Wissenschaft dienst-
bar gemacht worden. Pompeji und Etrurien waren hinzugewonnen;
Ägypten und Assyrien hatten den Gesichtskreis über die klassischen
Länder hinaus erweitert.

Die griechische Kunst, die damit nicht mehr bloß in
Kopien, sondern in ihrer eigenen Gestalt leibhaftig erkennbar in
den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Behandlung getreten war,
zeigte ihre Entwickelung erst jetzt in deutlichen Umrissen. Durch
die Kenntnis Mykenäs (war ein matter Strahl in die Vorzeit ge-
fallen; der Inhalt des Grabes Regulini-Galassi (S. 65) beleuchtete
die homerische Kunst; die Felsreliefs Kleinasiens, darunter die
vermeintliche Niobe am Sipylos, deren Bild Homer besungen,
(S. 88), schienen ebenfalls einer grauen Vorzeit anzugehören.
Die eigentlich griechische Kunst dagegen glaubte man erst etwa
gegen 600 beginnen lassen zu dürfen, wo die ersten Künstler-
namen auftreten. Von da an aber lagen drei Jahrhunderte, bis
zur Zeit Alexanders des Großen, ziemlich klar vor Augen.
 
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