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Geometrischer Stil 177

war, ja daß man sich mit diesen einfachen Mitteln an größere
Darstellungen, wie Leichenzüge oder Schiffskämpfe, gewagt hatte.
Man bezeichnete diese reichere Ausgestaltung als »Dipylonstil«.
Andere Beispiele etwas verfeinerter Art zeigten geometrische Orna- 276
mente und Figuren in unmittelbarer Verbindung mit Löwen und
ähnlichen Elementen des orientalisierenden Stils. Es konnte hier-
nach, wie nach dem gesamten Charakter des geometrischen Stils
kein Zweifel sein, daß er älter war als alles bisher Bekannte und
daher in die große Lücke eintrat, die bisher jenseits der orien-
talischen (wohl, wie bei Homer, durch die Phöniker vermittel-
ten) Einflüsse klaffte.

Aber noch etwas Weiteres konnte schon Conze nicht ent-
gehen. Dieser geometrische Stil stimmt mit seinem Ornament-
system im großen und ganzen mit den Zieraten überein, mit denen
die alten Tongefäße und Erzgeräte im mittleren und nördlichen
Europa geschmückt zu sein pflegen. Damit eröffneten sich neue
Perspektiven in weitere Zusammenhänge. War der geometrische
Stil ein gemeinsames Erbgut der arischen Völkerfamilie? Stellte
er eine besondere europäische Ausprägung der arischen Orna-
mentik dar? War er nach Griechenland vom Norden her infolge
jener Völkerschiebungen gedrungen, die wir unter dem viel zu
engen Namen der dorischen Wanderung zusammenzufassen und
etwa um den Anfang des letzten vorchristlichen Jahrtausends anzu-
setzen pflegen? Namentlich diese letztere Auffassung fand großen
Anklang und herrscht auch heute noch im allgemeinen. Wir
können erst später (S. 182) erwägen, ob nicht eine etwas abweichende
Anschauung noch größeren Anspruch auf Wahrscheinlichkeit er-
heben kann. Einstweilen müssen wir die Blicke über das grie-
chische Gebiet hinaus auf die weiten Gefilde der prähistorischen
Forschung richten.

Unter dem übel gebildeten Namen Prähistorie versteht
man bekanntlich die Erforschung der Urzeit, in die keine schrift-
liche Überlieferung zurückreicht. An ihr haben je nach dem
verschiedenen Gesichtspunkt gar verschiedene Wissenschaften teil,

Michaelis, Die archäologischen Entdeckungen. 12
 
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