Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Süddeutscher Kunstgewerbevereine — 1.1926

DOI Artikel:
Danzer, Paul: Die Arbeit der deutschen Kunstgewerbevereine
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9334#0006
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Trotz der unbestrittenen Erfolge der mathematisch-
naturwissenschaftlichen Denkweise auf technischem
Gebiet hat ihr Gegensatz zur historischen schon
in der Wissenschaft zu Divergenzen geführt, die bereits
als Zerfall angesprochen werden, aber eigentlich nur be-
weisen, daß sich nicht alle Gebiete mit gleichen Mitteln
bearbeiten lassen. Die Kunst liegt aber noch weit jen-
seits des historischen Flügels, und mit statistischen und
organisatorischen Sachbegriffen kann hier nichts erreicht
werden, weil der unberechenbare Mensch als Schöpfer
wie als Publikum eine zu große Rolle spielt. Mag aller
Voraussicht nach das Massenerzeugnis an Bedeutung
mehr und mehr gewinnen, auch die Anwendung maschi-
neller Arbeit im Handwerk sich zunehmend einbürgern,
man wird trotz allem nicht darüber hinwegkommen, daß
die gute Form als schöpferische Beeinflussung, mag sie
beim einzelnen Massenerzeugnis auf eine noch so kleine
Dosis zusammenschrumpfen, ohne individuellen Ur-
sprung gar nicht denkbar ist und weder vom Material
noch von der Maschine geleistet werden kann. Das indivi-
duelle Schaffen in der Gewerbekunst, das sich vorzugs-
weise im Kunsthandwerk, aber auch überhaupt in der
Befriedigung einer auf persönliche Werte gerichteten
Nachfrage auswirkt, wird daher immer Wurzel und Aus-
gangspunkt für eine künftige Fabrikkunst bleiben müssen.
Nur eine auf Sach -und Materialprobleme gegründete
Einstellung konnte das übersehen, und was wir heute
unter echtem Kunstgewerbe verstehen, auf den Aus-
sterbe-Etat setzen. Wenn also die deutschen Kunst-
gewerbevereine nicht in zeitgemäßer und nachdrücklicher
Verfolgung ihrer ursprünglichen Aufgaben für die Inter-
essen einer auf Individualität eingestellten Ge-
werbekunst eintreten, wird diese vergebens auf Schutz
und Förderung warten und zu ihrem Verderben an Be-
strebungen gekettet bleiben, die, so verdienstlich sie sind,
andere Ziele verfolgen und notwendigerweise unter dem
drückenden Einfluß des Großkapitals stehen.

Das individuelle Kunstschaffen im Gewerbe
muß im weitesten Sinne der Gegenstand der ganzen
Arbeit der deutschen Kunstgewerbevereine sein und
bleiben. Es handelt sich dabei durchaus nicht um das
Handwerk und den Kleinbetrieb allein, sondern nicht
minder um den mittleren und Großbetrieb, der eine
Arbeit von persönlichem Gepräge und für individuelle
Ansprüche leistet. Denn auch der Abnehmerkreis ist
ein anderer als beim typisierten Massenerzeugnis, und
wenn es noch so veredelt wäre. Solange in Deutschland
noch ein Stück freier Kunst erzeugt wird und noch das
Verlangen nach künstlerischer Gestaltung, sei es von
Wohnräumen, sei es von Gebrauchs- oder anderen
Gegenständen, irgendwo sich regt, wäre jede Erörterung
über die Daseinsberechtigung eines echten Kunst-
gewerbes müßig. Daß die Frage auftauchen konnte, ist
aber ein Beweis, daß dringende Aufgaben der Kunst-
gewerbevereine vorhanden sind und brach liegen.

Die schaffende künstlerische Persönlichkeit, die
schöpferische Eigenart muß bei der Arbeit der Kunst-
gewerbevereine in den Mittelpunkt gestellt werden. Sie
muß von dem hemmenden Rankenwerk eines selbst-
gefälligen Schrifttums befreit und vor den verderblichen
Irreleitungen fiktiver Interpretation beschützt werden.
Der Künstler muß aus sich schaffen und wissen, was er
will, das soll ihm nicht durch die Kritik eingeträufelt
werden; dagegen soll gesunde Kritik, die sich ihrer Ver-
antwortung als Macht der Auslese bewußt ist, einer
blinden Anbetung auch unechter Originalität steuern und
die Förderung höchsten Könnens aufrechterhalten. Sie
muß den Mut bekommen, dem Sensationskitsch, der
viel mehr Schaden anrichtet, mit gleicher Schärfe ent-

gegenzutreten wie dem Kitsch des Überholten, und sie
muß sich über die Frage klar werden, ob bei dem Maß-
stab des „Guten und Neuen" das eine schwerer wiegt
oder das andere. Dazu werden ihr aber nur dann Sinn
und Rücken gesteift werden, wenn führenden Künst-
lern und vorbildlichen Könnern der leitende Einfluß
in der ganzen Bewegung wieder gesichert wird. Die
Kunstgewerbevereine, die solche berufene Kräfte zu
ihren Mitgliedern zählen, können dies durchaus ermög-
lichen. Das wird sicher auch zur Beseitigung des Miß-
standes beitragen, daß vielfach Persönlichkeiten sich zu
Führertätigkeit vordrängen, die sich schöpferisch nicht
oder ganz unwesentlich bemerkbar machen.

Eine verständige Förderung der künstlerischen Per-
sönlichkeit muß auch mit anderen Zeiterscheinungen
aufzuräumen bestrebt sein. Sie wird u. a. die Hast nach
dem „Zeitgemäßen" aufklärend ihrer Auswüchse ent-
kleiden und die Erkenntnis fördern müssen, daß das
Gepräge der Zeit im lebendigen Kampf vorhandener
Gegensätze entsteht und nicht am grünen Tisch gemacht
wird, daß am wenigsten eine mechanische Summierung
von äußerlichen Erscheinungen unserer Technik auf den
richtigen Weg führt. Gilt es doch, nicht die Persönlich-
keit in den selbstgemachten Rahmen der Zeit einzu-
spannen, vielmehr sie zur Auswirkung auf die Zeit
kommen zu lassen. Irrtum über solche Zusammenhänge,
vielfach auch Mangel an Eigenwuchs haben dazu ge-
führt, daß die Mode viel zu ernst genommen und ihr
Einfluß auf Gebiete ausgedehnt wird, die ihr besser
entzogen blieben.

Wie der schaffende Künstler vor solchen Einengungen
geschützt werden muß, so ist eine gleichlaufende Arbeit
für die gemeinsamen Interessen von Kunst und
Gewerbe nicht minder wichtig, die auf den Gang ihrer
Entwicklung Einfluß nehmen muß. Unter weiterem Ge-
sichtswinkel betrachtet liegt doch die Sache so, daß
unser deutsches Geistesleben und mit ihm auch die
Kunst zwischen den Einflüssen von östlichem Mystizismus
und westlichem Materialismus die sichere Wegfindung
zu eigener lebendiger Entwicklung mehr und mehr ein-
gebüßt hat. Wie immer in Zeiten der Schwäche macht
sich ein verschwommenes Weltbürgertum breit, das
außerhalb Deutschlands nirgends auf Gegenliebe trifft,
aber die Gefahr birgt, daß die fruchtbaren Grundlagen
unseres eigenen Wachstums verschüttet werden. Man
darf die Assimilation der Völker, die auf dem Gebiet der
Zivilisation unfehlbar fortschreitet, nicht schematisch auf
eine Sache übertragen wollen, die aus Ureigenstem ent-
steht und ohne tiefwurzelnde Eigenart nicht gedeihen
kann. Nicht Sehnsucht nach Vergangenem, nicht natio-
nalistische Utopien, aber eine echte Verbundenheit mit
deutschem Wesen und Schaffen, wie sie in den mehr
örtlich organisierten und in Fühlung mit dem Handwerk
stehenden Kunstgewerbevereinen heimisch sind, kann
eine Lösung in wahrhaft fortschrittlichem Sinne bringen
und damit zu einer fruchtbaren Weiterentwicklung
führen. Im Einzelnen wird es hier Aufgabe sein, zer-
setzende Tendenzen zu bekämpfen, auf die heranwach-
sende Jugend und das Fachschulwesen förderlichen Ein-
fluß zu üben, das handwerkliche Können und den Stamm
von durchgebildeten Kunsthandwerkern zu erhalten und
zu erweitern. Er stellt ein nationales Kapital dar und
von ihm zehren nicht nur Kunst und Gewerbe, sondern
auch jede höher entwickelte Fabrikarbeit. Die Fühlung
mit dem Handwerk und die Mitarbeit der schaffenden
Künstler wird dabei einen sicheren Schutz bilden gegen
Versandung in einem blutleeren Ästhetizismus. Daß mit
der Fürsorge für Künstler und Handwerker auch wirt-
schaftliche und innerpolitische Aufgaben zwingend ver-
 
Annotationen