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Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Süddeutscher Kunstgewerbevereine — 1.1926

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Danzer, Paul: Die Arbeit der deutschen Kunstgewerbevereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.9334#0005
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MITTEILUNGSBLATT

DER ARBEITSGEMEINSCHAFT
SÜDDEUTSCHER KUNSTGEWERBE VEREINE

Angeschlossene Vereine: BAYER. KUNSTGEWERBEVEREIN MÜNCHEN BADISCHER KUNSTGEWERBE-
VEREIN KARLSRUHE / KUNSTGEWERBEVEREIN PFORZHEIM / KUNSTGEWERBEVEREIN DER PFALZ
KAISERSLAUTERN / KUNSTGEWERBEMUSEUM FÜR EDELMETALLINDUSTRIE, SCHWÄB. GMÜND

Nummer 3

München, November 1926

Die Arbeit der deutschen Kunstgewerbevereine.

Die Versuche theoretischer Formulierung von Zielen
und Aufgaben nehmen in unserer von reichlich viel
Worten durchwobenen Zeit naturgemäß breiteren Raum
ein als nötig. Man könnte zu der Ansicht neigen, daß
dabei nicht allzuviel herauskommt und daß frisches Zu- ,
greifen und gesunder Tätigkeitsdrang mehr Erfolg ver-
sprechen als das Ausklügeln von Systemen und die Sucht,
einen Weg vorher recht genau auf der Karte einzu-
zeichnen, vor man sich zum Gehen entschließt. Immerhin
kann man solchen methodischen Grundanschauungen
nicht ganz unrecht geben, und wenn schon mancherorts
auf obiges Thema deutsche Gründlichkeit verwendet
wird, so mag hierüber einiges zu sagen sein.

Wenn man die Aufgaben der deutschen Kunst-
gewerbevereine erst suchen müßte, dann gäbe es eigent-
lich nur eine Aufgabe: sie aufzulösen und den ganzen
Komplex den Historikern zu überweisen. Wir glauben
aber im Gegenteil, daß wenn die deutschen Kunst-
gewerbevereine nicht da wären, man sie ins Leben rufen
müßte, denn die Aufgaben sind vorhanden und man
braucht sie eigentlich nur zu sehen.

Die Kunstgewerbevereine entstanden ehedem aus der
Not der Zeit als bewußte Gegenwirkung gegen den Zerfall
heimischer Handwerkskunst. Man hätte damals auch
sagen können: „Die Zeit verlangt den Zerfall handwerk-
lichen Könnens, also fördert ihn!" Aber man tat es nicht
und vielleicht liegt schon darin Wesentliches für die
Daseinsberechtigung und Tätigkeit der Kunstgewerbe-
vereine. Man rief, um gute Techniken vor dem Unter-
gang zu retten, andere wieder zu beleben, die Vorbilder
des klassischen deutschen Handwerks auf den Plan und
erreichte auf diesem notwendigen Umweg das nächste
Ziel. Das weitergesteckte war, das Formempfinden über-
haupt wieder zu beleben und so allmählich die Zustände
wieder herbeizuführen, die für eine in Volk und Zeit
wurzelnde Stilbildung die Voraussetzung sind.

Der Ruf nach qualitativ hoher Leistung, der schon
1850 den Grundstein der kunstgewerblichen Bewegung
gebildet hatte, wurde um die Jahrhundertwende erneut
mit Nachdruck erhoben, doch hat bekanntlich die mit
der Jugendstilepoche eingetretene Überstürzung nichts
erreicht. Dann aber stellte man das ganze Erneuerungs-
problem auf breitere Grundlagen und die letzten Jahre
vor dem Weltkrieg brachten hoffnungsfreudigen Auf-
schwung. Doch schon bald nach der durch den Kriegs-
ausbruch vorzeitig beendeten Ausstellung 1914 machten
sich Strömungen kunstpolizeilicher Art geltend, die nicht

vereinzelt blieben, auch überwucherte das anerkennens-
werte Streben nach Veredelung des Massenerzeugnisses
zunehmend die ganze Bewegung. Der Zwiespalt „Indi-
vidualisierung — Typisierung" war der Scheideweg, und
wenn wir heute fragen, was seitdem für Schutz und För-
derung der individuellen Arbeit geschehen ist, so
stehen wir vor sehr ernüchternden Erkenntnissen. Trotz
großer vielseitiger Anstrengungen und Versuche und
vieler guter Leistungen hat man eine zunehmende Er-
starrung im Abstrakten nicht abzuwenden vermocht.
Wohl sind die Auswüchse der Stilnachahmung über-
wunden und die museale Tendenz durch Streben nach
freiem Wachstum verdrängt worden, die Basierung auf
deutsches Schaffen der Vergangenheit hat anderweitigen
Anleihen und der Heranziehung von Vorbildern des
„Naiven" aus aller Welt weichen müssen, man hat mit
verstandesmäßigen Mitteln das Wachstum wahrer Kunst
ergründen wollen und neben literarischer Überproduk-
tion auch in der Hingabe an einen abgestempelten „Zeit-
geist" das Heil gesucht. Aber wenn man heute nach
den vielen, im Zeitpunkt ihrer Entstehung als vorbildlich
bezeichneten Arbeiten fragt, wird man erfahren, daß sie
schamhaft verborgen gehalten werden und die dereinst
stolzen Erzeuger beklommen davon abrücken. Wenn man
überdenkt, daß z. B. in der Gestaltung des Wohnraumes
der Weg vom Rittergemach bis zum Bolschewistenstall
zurückgelegt worden ist, so muß man bedauern, daß die
Ernte an bleibenden Werten und damit die Aussicht
auf eine allgemeine Gesundung immer spärlicher ge-
worden sind. Im Gegensatz zum überreichen Ertrag an
Theorien, Schlagworten, Verheißungen.

Nun wäre es gewiß vermessen, nach so vielseitigen
und unermüdlichen Anstrengungen schlankweg ein All-
heilmittel verkünden zu wollen. Wenn man aber den
heutigen Zustand und seine Entstehung betrachtet, dann
fragt man sich, wie und warum eine lebendige Bewegung
ohne die erhoffte Auswirkung verebben konnte und es
drängt sich der Eindruck auf, daß das innewohnende
Leben durch eine Überschätzung des Sachlichen
gegenüber dem Persönlichen, des Systems gegenüber
der Triebkraft, der Form gegenüber dem Inhalt der Aus-
zehrung verfiel. Das Methodische, Konstruktive über-
wucherte das Individuelle, Organische und führte fast
zur Verneinung des Persönlichkeits wertes, der doch
schließlich auf jedem schöpferischen Gebiet alles be-
deutet, in der Kunst nicht anders als in der Maschinen-
industrie oder im Welthandel.
 
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