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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 2
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Lux, Joseph August: Die Missstände der heutigen Grossstadtanlagen, [2]
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Schellbach, Siegfried: Albert Gessners Mietshäuser
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0057
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35

Albert Gessners Mietshäuser

Stadterweiterungen die bestehende Anlage der neu
eingemeindeten Ortschaften zu schonen und ins-
besondere die alten Gartenkulturen zu schützen,
die einst einen lieblichen Kranz um das alte Stadt-
gebiet bildeten. Strassenregulierungen auf Kosten
der alten Anlagen sollen tunlichst vermieden wer-
den. Für den Verkehr genügen, wie oben erwähnt,
in der Regel nur einige Hauptlinien, die in den
alten Vororten durch die einstige Land- oder Fahr-
strasse vorgebildet sind. Bei den Verkehrsstrassen
ist für eine künftige stärkere Inanspruchnahme
vorzusorgen, indem solche Strassen entsprechend
breit angelegt und von Anlagen für Fussgänger und
Rasenanlagen durchzogen werden, die später bei
Mehrbedarf für Verkehrszwecke wieder aufgelassen
werden können. Von schnurgeraden Strassenfüh-
rungen ist zu Gunsten der kurvenartigen abzusehen,
wenn die alte Anlage kurvenartige Strassen besessen
hat, was meistens der Fall ist. Das ergibt sich von
selbst durch die Forderung einer weitestgehenden

Schonung und Beachtung des ursprünglichen Cha-
rakters der alten Ortsanlage. V

V 5. In Bezug auf Wohnbauten ist durch eine weit-
schauende Bodenpolitik und geeignete Gesetzgebung
in dem oben angedeuteten Sinne auf die Bildung
von Einfamilienhäusern zu billigen Preisen fördernd
einzuwirken, ferner aufdie Verringerung der Strassen-
beitragskosten und auf die Niedrighaltung der Wohn-
bauten zu sehen, wodurch die ungemütliche Breite
der bisherigen Strassen überflüssig erscheint. In
Bezug auf die Wohnungen ist auf Weiträumigkeit
der Nutzräume, der Küchen, Schlafzimmer, der
Gärten zu sehen, und auf die technischen und
hygienischen Einrichtungen. Das Bad dürfte in
keinem Hause fehlen, ebensowenig entsprechende
Räume für die Dienstboten. V

V Diese fünf Hauptsätze werden als Hauptziele
der Reformbestrebungen zu gelten haben, wenn wir
je wieder zu schönen Städten, die ein gesundes und
glückliches Dasein gewähren, gelangen wollen. V

ALBERT GESSNERS MIETSHAUSER

VON SIEGFRIED SCHELLBACH, FRIEDELSHOF-BERLIN

Noch vor wenig Jahren glaubte wie jeder deutsche
so auch der Berliner Architekt, dass er alle
Ornamente vergangener Jahrhunderte, die er in der
Stilkunde kennen gelernt, in „Formenschätzen"
bereit hielt oder auf Studienreisen skizziert hatte,
in verschwenderischer Fülle über die Fassaden
seiner Häuser ausgiessen müsse. Da wurde er eines
schönen Tags belehrt, dass dies abgeschmackt sei
und dass es nicht so ohne weiteres ginge, die
Schmuckformen eines italienischen Palazzos, eines
Renaissance-Patrizierbaues odergotischen Rathauses
auf unsere modernen Mietskasernen zu übertragen.
Nun fing er an, hiefür den Stil unserer Zeit zu
suchen und verfiel von einem Extrem ins andere,
bis er sich endlich darauf besann, dass weder alles
Alte schlecht und alles Schlechte alt, noch alles
Neue schön und alles Schöne neu sein müsse,
sondern dass der Mieter vor allen Dingen Häuser
haben wolle und verlangen dürfe, die seinen ästhe-
tischen und praktischen Bedürfnissen entsprechen.
So ist zuerst eine Reihe von Einfamilienhäusern
entstanden, deren Grundrisslösungen ebenso wie
ihre äussere Gestaltung befriedigen. Dem Mietshause
aber wird erst in letzter Zeit vonseiten der Archi-
tekten mehr Interesse oder sagen wir besser, mehr
Liebe entgegengebracht. Hiebei jedoch stehen der
freien Entfaltung schöpferischer Kräfte zwei Haupt-
feinde entgegen: der Geldbeutel des Bauherren

und die baupolizeilichen Vorschriften. Und im
Kampfe mit diesen beiden unbequemen Faktoren
erschöpfen sich in den meisten Fällen die Kräfte
unserer Architekten. Die Bauordnung ist ästheti-
schen und selbst praktischen Gründen in der Regel
unzugänglich, der Bauherr kennt meist nur die
Interessen seines Geldbeutels und so entstehen jene
unglücklichen Kompromissbauten, bei denen ein-
zelne Schönheiten über das Verfehlte der ganzen
Anlage hinwegtäuschen sollen. V

V Auch Albert Gessner wandte zuerst sein Haupt-
interesse dem Landhausbau zu. An Geschäfts- und
Zinshäusern der Grossstadt hatte er äusserste
Raumausnützung gelernt, aber das Verlangen nach
„grösstmöglicher Verzinsung des Baukapitals" Hess
keine Verwirklichung künstlerischer Absichten zu.
Der harte Zwang, dem er sich bei seinen ersten
Bauten hat unterwerfen müssen, mag wohl viel dazu
beigetragen haben, seine Arbeiten freizuhalten von
Phantastereien und architektonischen Mätzchen.
Das Haus eines Arztes in Warda mag die Frucht
dieser Schulung illustrieren. V

V Gelingt es nun beim Landhausbau, ohne jede
ornamentale Zutat, aus Dach und Wand, ein wirk-
ungsvolles, ästhetisch und praktisch voll befriedigen-
des Haus aufzubauen, so stellt freilich das städtische
Mietshaus diesem Streben erhebliche Hindernisse
entgegen. Hier nun hat Gessner mit Glück Wege
 
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