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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 10
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Widmer, Karl: Wohnhausbauten von Curjel & Moser
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0414
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331

Wohnhausbauten von Curjel & Moser

in die Wandvertäfelung, die Ausbildung der Garde-
robeschränke, Speiseschränke u. s. w. zu kleinen,
kabinettartigen Wandkammern. Die farbige Ab-
stufung der Raumstimmung je nach Charakter und
Bestimmung des Raums ist wiederum Sache des
persönlichen Geschmacks und des künstlerischen
Taktes. Natürlich immer in den Grenzen sach-
licher Logik. Je mehr der Raum der Arbeit und
dem Alltagsleben gewidmet ist, desto schlichtere,
ruhigere Farben sind am Platz. Je reicher und
lebhafter der Raum ist, desto mehr harmoniert er
in der Stimmung mit der oberflächlicheren Angeregt-
heit des gesellschaftlichen Verkehrs und den Be-
dürfnissen der Repräsentation. Selbstverständlich
spricht dabei auch der Charakter und die Lebens-
weise der Bewohner ein entscheidendes Wort. Für
manche Zwecke scheinen gewisse Farben gleich-
sam prädestiniert. So vor allem das Weiss für alle
Räume, in denen der Eindruck peinlicher Sauber-
keit besonders wichtig und wohltuend ist: Küche,
Bad u. s. w. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt,
dass mit derartigen Salubritätseinrichtungen in der
Schweiz ein besonders grosser Aufwand getrieben
wird. Die reicheren Schweizer Villen haben nur
das beste von amerikanischen Porzellanapparaten für
Küchen und Badezimmer; das Raffinierteste von
Entwässerungs- und Bewässerungsanlagen; jede
Toilette hat ihr besonderes Entlüftungsrohr und
dergleichen. V
V Im übrigen hängt der künstlerische Charakter
des bürgerlichen Wohnhauses natürlich nicht allein
von der Kostbarkeit der aufgewandten Mittel ab.
Curjel & Moser haben die eine und andere Villa
ausgeführt, so z. B. die Villa Weyermann, Reutenen
am Bodensee, in der jedes Stück der Einrichtung vom
Künstler gezeichnet ist, die Ausführung sich gleich-
wohl mit schlichten Materialien begnügt: am Aeus-
sern des Hauses kein Haustein, sondern nur Ver-
putzwände und Holz, im Innern nur Tannenholz.
Alle diese Gesichtspunkte einer künstlerisch ver-
feinerten Behaglichkeit und Zweckmässigkeit wür-
den den besten Teil ihrer kulturellen Bedeutung
verlieren, Hessen sie sich nicht ebenso wohl im
einfachen wie im reichen durchführen. Was vom
privaten Wohnhaus gesagt ist, gilt im Grundsatz
auch dem Hotel: sind es doch dieselben Grund-
bedürfnisse der Wohnlichkeit, die in beiden Fällen
dem künstlerischen Schaffen des Architekten die
Richtung vorschreiben; zum grossen Teil auch im
einzelnen dieselben praktischen Aufgaben: Speise-
zimmer, Salon, Wohn- und Schlafzimmer u. s. w.
In dem Feldberghotel haben Curjel & Moser ein
Beispiel geschaffen, wie auch an einem modernen
Gasthaus wieder dieser Charakter des Persönlichen,

des Intim-Wohnlichen im Innern wie im Aeussern
durchgeführt ist. V

V Sehr wichtig ist schliesslich die Umgebung des
Hauses. Hier ist eine Art von Luxus geradezu Be-
dingung der Vollkommenheit: nur das freistehende
Hauskann sich als ein unabhängiger, auf sich gestellter
Organismus vollständig frei und folgerichtig nach
den Gesetzen seiner eigenen Vollkommenheit von
innen nach aussen entwickeln. Keine Rücksicht
auf die Strassenfront hindert den Architekten in
der zweckmässigen Disponierung der Räume. Als
letzte Konsequenz setzt das freilich voraus, dass
das Haus von allen Seiten vom Garten umgeben
ist: erst dadurch wird es ganz und gar unabhängig
von seiner Nachbarschaft. Steht das Haus in einer
landschaftlich bevorzugten Natur, so bildet der
Garten die natürliche Vermittlung zwischen Haus
und Landschaft. Fehlt die natürliche Schönheit der
Landschaft, so kann sie durch den Garten ersetzt
werden. Es ist gerade bei Schweizer Villen auf-
fallend, welch grosser Aufwand mit Gartengelände
hier getrieben wird und wie ausserordentlich grosses
Gewicht die Schweizer auf Garten- und Landschafts-
genuss legen. Die bergige Natur des Landes bringt
es mit sich, dass die meisten Vorstadtvillen auf
Anhöhen liegen. Das gibt dem Architekten das
ausserordentlich wirkungsvolle Mittel der Terras-
sierung in die Hand. Das Haus wird als Mittel-
punkt einer architektonisch gestimmten Umgebung
zur künstlerischen Krönung und zum sorgfältig abge-
wogenen Abschluss des gesamten Landschaftsbildes.

V Wie die Architektur selbst einheitlich in die
Landschaft eingestimmt wird, so wird auch im
Innern auf den Genuss schöner Landschaftsbilder
das grösste Gewicht gelegt. Die Fenster eines
Zimmers werden möglichst nach dem landschaftlich
schönsten Punkt gerichtet. Vom ästhetischen wie
vom praktischen Gesichtspunkt aus erscheint es
dabei gleich vorteilhaft, die Lichtquellen zu kon-
zentrieren: in eine Fenstergruppe oder eine Fenster-
nische vereinigt, werden sie zu einem in sich ab-
geschlossenen grossen Tagesleuchtkörper. Und
überall öffnen sich die Zimmer nach aussen in
blumengeschmückten Terrassen, in offenen oder
gutabgeschlossenen Veranden und Lauben. So wächst
das Haus auch als Aufenthalt des Menschen orga-
nisch in die Natur hinein. Es trennt ihn nicht von
ihr, sondern gewährt ihm einen ununterbrochenen,
für jede wechselnde Unbill der Jahreszeiten berech-
neten Kontakt mit ihr. So bringt ihm die vollendete
Kultur des Wohnens das, was ihm eine einseitige
Entwicklung städtischer Zivilisation geraubt hatte,
wieder zurück: die Harmonie des menschlichen
Lebens mit der Natur. V
 
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