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Henotheismus, Polytheismus, Monotheismus, Atheismus. 295

aus der alten Quelle schöpfen zu können. Eine Religion,
die nicht wachsen kann , ist wie eine classische Sprache?
die eine Zeit lang ihre ungestörte Herrschaft ausübt, um
dann desto schneller durch die von unten hervordringenden
volksthümlichen Sprachweisen gebrochen und hinweg-
geschafft zu werden, durch die vox populi, die sich schon
so oft als die vox Dei bewährt hat.

Niemand spricht jetzt noch von einer eingeborenen
Sprache. Wir begreifen kaum noch, was man sich darunter
vorgestellt haben kann. Die Zeit wird kommen, wo man
ebenso fragen wird, was man sich denn eigentlich unter
einer eingeborenen Religion gedacht habe. Der Mensch
hat Alles, was ihm nöthig ist, im Schweisse seines An-
gesichts zu erwerben, aber der Boden, auf dem er arbeitet,
ist so beschaffen, dass wenn er nur ehrlich bearbeitet wird,
er nicht nur Dornen und Disteln trägt, sondern dem Men-
schen Alles gibt, was er zum Leben braucht. Wir wissen,
dass, selbst wenn eine vollständige Grammatik und ein
vollständiges Wörterbuch plötzlich vom Himmel herabge-
kommen, sie vollkommen nutzlos gewesen wären für
Wesen, die nicht selbst ihre sinnlichen Eindrücke zu Be-
griffen verarbeitet, die nicht selbst entdeckt, in wie viel
verschiedene Verhältnisse (nrcSoig) ein Begriff zum anderen
treten könne. Die himmlische Grammatik und das himm-
lische Wörterbuch wären für den Menschen eine fremde
Sprache gewesen, und kein Mensch kann eine fremde
Sprache lernen, der nicht schon seine eigene Muttersprache
besitzt. Sprachen können wir lernen von Anderen, so viel
wir wollen; — Sprache und Alles, was Sprache voraus-
setzt, muss von innen, d. h. von uns selbst kommen.

Und ist es mit der Religion anders? Man frage doch
einen Missionär, ob er Wilden, die absolut keine Idee von
 
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