VII.
„Herr! laßt Euch das Geld nicht rcu'n," spricht Eulenspiegel, „kauft mein Pferd,
Hundert Gulden kvstet's, — zwanzig ist sein schöner Schweif schon wert;
Schauet nur, wie dicht und stattlich er zum Bug ihm nicderhanget,
Wie mit gleicher Zier kein zweites Tier schier mehr auf Erden pranget!"
Und der Fremde faßt das Pferd am Schweife fest nach Kenner-Brauch,
Doch — Pcrdauz — mit samt dem Schweife liegt er schon am Boden auch.
Zwanzig Gulden muß er zahlen für die ausgcriss'uc Zier,
Die der Schalk Till Eulcuspicgcl — angebunden halt' dem Tier.
VIII.
„Nahet sich ein Feind dem Schlosse, soll Dein Hornrus schnell mir's sagen!"
Also ward den: Till, als Turmwart, vom Herrn Ritter aufgetragcu.
Und kaum setzt mit seinen Mannen der Herr Ritter sich zum Mahl,
Horch, da tont Nom Turm schon nieder Enlenspiegels Horn-Signal.
Alles rennt nnd spähet, doch kein Feind ist draußen zu entdecken,
Eulcnspicgcl aber setzt sich d'rinn zum Mahl und läßt sich's schmecke«.
Und der Ritter schilt: „Wo ist der Feind, den du verspürt, du Dümmster?"
„„Hunger spürt ich,"" spricht der Till d'rauf, „„und das ist der Feinde
Schlimmster!""
IX.
„Daß ein Esel lernt das Lesen, ist noch niemals da gewesen!
Tretet ein, Ihr Herrn Doktores, nnd Ihr hort und seht ihn lesen!"
So sprach Till, und die Doktores treten in den Stall und sehen
Richtig einen alten Esel schon vor einem Barren stehen.
Ans dem Barren lag ein altes Buch geöffnet schon bereit —
— Haferkörner lagen heimlich zwischen jedes Blatt gestreut.
Und der Esel Hub zu blättern an, als er den Hafer sah,
Und zum Staunen der Doktores las er schrei'nd; „I—ah!— i—ah!"
Enlerrspiegel
Zweiter Bogen.
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„Zwanzig Maß der Milch bedarf ich! — Daß es keine mag verdrießen,
Soll mir jede von Euch Milchfran'n je drei Quart ins Schaff hier gießen!"
So sprach Till, und schnell gefüllet ward das Schaff bis au den Rand;
Plötzlich hob er au zu klagen: „Ach und Weh', o schlimmer Stand!
Eure Milch kann ich nicht brauche», Eure Milch ist viel zu — naß, —
Nehm' sich jede ihren Teil nnr wieder!" — sprach's und ging fürbaß.
Treu im Bilde ist zu schauen, welch' ein End die Sach genommen, —
Jede Milchfrau hat gewißlich ihren Teil dabei bekomme» !
XI.
„Euer Gnaden!" sprach Till Enlenspiegcl einst zum Herrn Prälaten,
„Darf ich's wagen, euch zu einem sclt'uen Schauspiel ciuznladen?
Wenn ich „Lirum larnm" spreche, sollt ihr blaue Wunder sehen,
Was mit dieser Topf-Frau und mit ihren Töpfe» wird geschehen!"
Und der Schalk ruft „Lirum lariuu!" und die Topf-Frau ohne Zagen
Fängt, wie wütend, an, die Töpf' nnd Schüsseln alle zu zerschlagen.
Lachend schant's der Herr Prälate, weiß nicht, wie das Ding er fasse,
Ahnet nicht, daß Till es also abgercdct, ihn zum Spässe.
XII.
Einem Pächter einst verkauft er einen jungen, zahmen Hasen,
Und der Pächter will den Hasen noch im Gärtlein lassen grasen,
Daß an Blankohl er nnd Krantkvpf ein paar Wochen noch sich mäste,
Und als Braten desto besser munde bei dem Kirchweih-Feste.
Und der Hase hat im Gärtlein sich sogleich zurecht gefunden,
Eines nnr vertrug er schlecht: das Bellen von des Pächters Hunden.
Auf den Apfelbaum entfloh er, und „Miau" gcschrieen hat er,
Denn der Hase war nur ein in Hascnfcll genähter Kater.
Münchener Bilderbogen.
lAllc Rechte Vorbehalten.>
4. Auflage.
Mi<>. 57«.
Ngl. Hol- lind Universiläts-Buchdruclcrci von t>r. C. W a lsLS oh» in Munch en.
Herausgegeben uno verleg: von Braun Le Lchncider in München.