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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 49.1928

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Schneider, Walther: Die religiösen Anschauungen des Freiherrn vom Stein
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https://doi.org/10.11588/diglit.61603#0081
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Die religiösen Anschauungen des Freiherrn vom Stein. 75
Wien, 4. 11. 1 814).467) Nie aber ist schärfer als von Stein das „Noblesse
oblige“ betont worden. „Es ist traurig,“ schreibt er an Spiegel (29. 6. 1819),
„dass ein Haupt der reichsten westfälischen Familie von einem so engherzigen
Krämergeist beseelt ist und nicht begreift, dass in unserra demokratischen Zeit-
alter der Adel sich allein durch edle, tüchtige, in das Leben gebrachte Gesinnungen
halten und erhalten kann.“468) „Nicht durch Hunde, Pferde, Tabakspfeifen,
durch starres Vornehmtum wird der Adel den angesprochenen ausgezeichneten
Platz im Staat sich erhalten, sondern durch Bildung, Teilnahme an allem Grossen
und Edlen, unerschütterliche, treue Anhänglichkeit an das Vaterland und an die
Sache des Rechts“ (an Spiegel, 9. 3. 1831).469) Arndt erzählt,470 471) dass Stein an
dem Grafen Münster getadelt habe, dass er „zu viel hannoversche Hofluft der Junkerei
eingeatmet habe,“ und von dem westfälischen Adel klagt er, dass „das jetzige
Adelsgeschlecht in Selbstsucht und Einseitigkeit versunken sei,“ während „viel
Bildung und Regsamkeit sich in den östlichen deutschen Provinzen unter dem
Adel finde, von dessen Bemühungen er Gutes ahne“ (an Hövel, 16. 2. 1825).474)
Den Grund zu der so verhängnisvollen Entwicklung des Adels sieht Stein
in seiner egoistischen Abschliessung von den übrigen Ständen. „Jeder Stand
fordert jetzt, abgesondert, den Beistand der höchsten Gewalt; und jedes Gute,
jedes Recht, das dem einen widerfährt, betrachtet der andere als eine Zurück-
setzung. So leidet der Gemeingeist und das Vertrauen zur Regierung.“ ,,Durch
die Verbindung des Adels mit den andern Ständen wird die Nation zu einem
Ganzen verkettet.“ (Politisches Testament.) 472) „Will der Adel“, so schreibt
er am 19. 5. 1807 an Herrn von Mirbach, „mit Erfolg die gegenwärtige Krisis
überstehen, so muss er sich an den Regenten und die Nation schliessen; trennt
er sich von beiden, so wird er untergehn. Dies geschieht durch Steuerfrei-
heit und Ausschliessung von der Genossenschaft derjenigen, die keine Stamm-
bäume vorzuweisen haben. Der Adel muss durch Verdienste erreichbar sein,
so wie jede Stelle im Staat Die schönen Zeiten unsres Volkes wissen
nichts von Stammbäumen; Erzbischof Willigis von Mainz, der so vielen wohl-
tätigen Einfluss unter den Ottonen auf Deutschlands Ruhe hatte, war der
Sohn einer sehr armen Frau, Herzog Hermann Billung von Sachsen der Sohn
eines Besitzers von 7 Hufen4'.473) Dafür aber gibt er dem Adel, dem der Ver-
kauf der ritterlichen Güter an Bürgerliche untersagt war, und der auch ein
bürgerliches Gewerbe nicht ohne Nachteil seiner Standesrechte treiben durfte,
die Freiheit, „den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Masse seiner Kräfte
zu erreichen fähig war.“ Durch das Edikt vom 9. 10. 1807 wurde auch der
Adel, frei von patriarchalischer Bevormundung, aber auch ohne den bisherigen
Schutz des Staates, unter eigene Verantwortlichkeit gestellt.
So vorurteilsfrei urteilte der sittenstrenge Spross der Reichsritterschaft,
in dem wirklich, wie Ouwaroff sagt, „etwas von Götz von Berlichingen und
467) Pertz 4, S. 147.
468) Pertz 5, S. 608.
469) Pertz 62, S. 1142.
47°) Wanderungen, S. 33.
471) Pertz 61, S. 209.
472) Pertz 2, S. 312.
473) Pertz 5, S. 141.
 
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