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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 55.1935

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Schlosser, Heinrich: Die Bedeutung der Hohen Schule Herborn für die Geschichte des deutschen Geistes
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https://doi.org/10.11588/diglit.62604#0109
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Die Bedeutung der Hohen Schule Herhorn
für die Geschichte des deutschen Geistes.
Festrede, am 11. März 1934 in Wiesbaden
gehalten von
Heinrich Schlosser
Das geistige Leben unseres deutschen Volkes ist in den vielen Jahrhundert
ten seiner Geschichte durch Mächte verschiedenster Herkunft und mannigfache
ster Kraft bestimmt worden. Diesen Mächten nachzusinnen, ihr Auftreten in
geschichtsbildenden Männern zu verfolgen und ihre Leistungen darzustellen,
ist Aufgabe der geschichtlichen Forschung. Sie darf aber nicht nur politische
oder wirtschaftliche Mächte suchen und aufzeigen. Die ältere deutsche Ge*
schichte, mindestens bis 1648, ist in einem derartigen Maße von religiösen und
kirchlichen Mächten bestimmt, daß man dem Historiker zumuten muß, die
Probleme der Theologie und Kirche in ihrer Wirkung auf die deutsche Ge*
schichte der Vorzeit zu kennen. Es tritt daraus die uns erhebende Erkennte
nis entgegen, daß die Deutschen wie kein anderes europäisches Volk die
Dinge des Glaubens mit ungeheurem Ernst angefaßt, daß sie dem Glauben,
der ihnen verkündet war, mit tiefster Innerlichkeit gelebt haben. Diese Er*
kenntnis versöhnt denn auch mit der historischen Erkenntnis, daß aus diesem
Ernst heraus die Glaubenskämpfe mit Erbitterung geführt, die kirchlichen
Scheidungen ohne Hoffnung der Ueberbrückung geweckt worden sind. Es
ist dann ebenso historische Erkenntnis, daß in keinem anderen Volke so wie
in dem unseren das geistige und künstlerische Leben durch religiöse Mächte
zu höchsten Leistungen beflügelt worden ist. Die Kirche des frühen und spä*
teren Mittelalters und die Kirche der Reforma ion hat unsere deutsche Sprache
geformt, bereichert, verfeinert, und unsere Sprache wie unsere Seele ist er*
füllt von biblischen Worten und Bildern.
Wir danken es der Kirche, der des Mittelalters wie der Neuzeit, daß sie
in Schulen und Hochschulen dem deutschen Volke Pflegestätten deutschen Gei*
stes geschenkt hat, daß sie ihm Gebiete der Forschung geöffnet, dem deut*
sehen Sehnen nach dem Unendlichen, Unbegrenzten, Ewigen die Ziele gezeigt
und die Wege gebahnt hat, daß sie in unbekannten Städten, die nicht politische
oder wirtschaftliche Mittelpunkte waren, Stätten geistigen Forschens geschaffen
hat. Mag davon heute auch nichts mehr geblieben sein — die geistige Arbeit
der großen Klöster des Mittelalters ist doch aus unserer deutschen Geistesge*
schichte so wenig wegzudenken, wie die der- kleinen deutschen Universitäten
und Hochschulen, denen die napoleonische Zeit den Untergang brachte.
Sind sie doch alle dem großen Streben entsprungen, das geistige Forschen aller
Fakultäten auf den mächtigen breiten Grund des gemeinsamen Glaubens zu
bauen und alle die quälenden Zweifel der Einzelforschung dadurch zu ent*
kräften, daß man Wissen und Glauben nicht als feindliche Mächte, sondern
als Gebilde desselben einheitlichen Geistes würdigte. Derselbe Geist, dem
das Dogma der Kirche unendliche Tiefen der Forschung bot, sollte sich mit
geschultem Denken nun auch der ebenso unendlichen Fülle der Wissens*
Probleme zuwenden.
In diese großen Zusammenhänge stellen wir heute unsere Darstellung des
geistigen Lebens der kleinen Hochschule, die einst Freude und Stolz Nassaus
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