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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 34.1874

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Aurel Robert
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III.
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https://doi.org/10.11588/diglit.43125#0018
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Aurel’s Liebling also war jetzt die Marcuskirche geworden, die er unablässig von da an bis in’s
Einzelnste studirte. Fürwahr kein geringes Unternehmen, denn S. Marco ist ein Denkmal, an dem seit
dem XI. Jahrhunderte fast jedes Zeitalter etwas Erhebliches hinterlassen hat. Die Venetianer selbst
schienen ihre Dogenkirche als die Schatzkammer der Republik zu betrachten, der sie das Seltenste und
Kostbarste einverleibten, was Krieg und friedlicher Erwerb ihnen verschafften. Von dem Neronischen
Viergespann angefangen und den ältesten Erzeugnissen byzantinischer Plastik bis hinunter in die Zeit
der entarteten Renaissance sind hier aus allen Epochen abendländischer und orientalischer Kunst die
besten Erzeugnisse vereinigt. Dazu denke man sich die vielgestaltige Anlage des Ganzen, die Pracht
der Farben und die Auswahl herrlicher Durchblicke, die auf Schritt und Tritt das Auge auf’s Neue
überraschen, die Aufzüge endlich und die pomphaften Ceremonien, welche zeitweilig diese Räume beleben,
und man lernt verstehen, welch’ ein endloses Feld sich für den Künstler eröffnete. In der That ist die
Zahl der Studien, welche Robert während eines dreimaligen Aufenthaltes in Venedig sammelte, eine ganz
erstaunliche. Abgesehen von einer Menge Skizzen, welche die verschiedenen Ansichten des Innern zwar
farbig, aber nur in der allgemeinen Stimmung wiedergeben, ist die Zahl der Einzelstudien Legion. Da
ist jedes Detail berücksichtigt, die entfernteste Gliederung, die nur ein bewaffnetes Auge erspäht, auf’s
Genaueste untersucht und wiedergegeben. Andere Dinge, wie die Apostelstatuen auf dem Lettner, sind
von verschiedenen Standpunkten gezeichnet, endlich ganze Bücher vorhanden, die nichts als Mosaiken
und Zierglieder enthalten, und das Alles mit einer Liebe und Hingebung gezeichnet, die man heutzu-
tage wohl an Archäologen gewohnt ist. Auch die Zahl der Bilder, die Aurel in der Folge ausgeführt
hat, ist eine stattliche zu nennen; zweiundzwanzig Male findet sich S. Marco in dem Verzeichniss seiner
Werke erwähnt, darunter 14 Interieurs der Kirche selbst, zum Theil von verschiedenen Standpunkten
aufgenommen, vier Ansichten des Baptisterium (der Taufkirche neben S. Marco) und zwei gleichfalls
innere Veduten der Kapelle S. Zeno. Was diese Arbeiten ohne Ausnahme kennzeichnet, das ist der
wahrhaft rührende Fleiss, der keine Opfer und keine Mühe scheut, um das Ganze bis ins Einzelnste zu
durchdringen. Dazu kommt die dem Meister eigenthümliche Begabung für die Interieurmalerei überhaupt,
die stets glückliche Wahl des Standpunktes, die tadellose Kenntniss der Linear- und Luftperspective, sodass
man förmlich die Luftsäule zu erkennen glaubt, welche ferner stehende Gestalten und Gegenstände dem Auge
entrückt. Stets endlich weiss er den Beschauer in eine dem Gegenstände entsprechende Stimmung zu
versetzen, die bald in der Beleuchtung, bald in einer mehr oder weniger ausführlichen Staffage ihren
Ausdruck erhält.
Mit Aurel’s erstem Aufenthalte in Venedig fängt die Zeit seiner Vollkraft an, ein Gelingen in
Allem, was der Künstler unternimmt. Eines ganz besonderen Erfolges scheint sich Aurel Anfangs 1835
erfreut zu haben. „Weich’ ein Glück — schreibt Leopold — dass Aurel nun seine Früchte erntet.
Welch’ ein Vergnügen für die ünsrigen und wie froh ist er, er war so erregt, dass er die ganze
Nacht nicht geschlafen hat“ — und dann: „ich komme auf Aurel’s Gemälde zurück. Dieser gute
Delecluzes! ich könnte ihn umarmen wegen des Artikels, den er darüber geschrieben hat.“1)
Dieses Glück blieb leider kein ungetrübtes. Eine zehrende Schwermuth hatte sich zunehmend des
armen Leopolds bemächtigt. Erfolglos blieben die Anstrengungen seiner Freunde, welche dahin zielten,
ihn zu zerstreuen, vergeblich die Ruhe und die wohlwollende Nüchternheit, zu der sich Aurel, trotz der
eigenen Qualen, unablässig ermannte. „Der gute Marcotte“, meinte er einmal, als dieser tröstend auf

') Brief an Herrn Marcotte, d. d. Venedig 15. März 1835. Feuillet de Conches, pag. 216 u. ff.
 
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