Abfassungszeit der 4. Ekloge 5
Kindes geknüpft, das bestimmt ist, die neue Aera zu inaugurieren.
Wie nun also? der Friede geschlossen, und das Kind, der Friede-
bringer, noch ungeboren? Das erscheint nicht vorstellbar. Es kommt
ein weiteres Moment hinzu. Im Vers 14 ist von einer perpetua for-
mido, einem immerwährenden Grausen, die Rede, das die Erde im
Bann halte.1) So konnte nicht mehr nach dem Abschluß eines Frie-
dens geredet werden, der den Bann gebrochen zu haben schien. Nur
durch die Annahme eines vaticinium ex eventu würden sich diese
beiden Bedenken zur Not beschwichtigen lassen. Aber zu der An-
wendung eines derartigen Gewaltmittels böte die Ekloge auch nicht
den Schein eines Rechts: keine Spur deutet darauf, daß die Pro-
phetie anders als aus der Gegenwart selbst heraus erfolgt. Und nun
überlege man sich folgendes. Die Grundvoraussetzung der Ekloge ist
in ihren ersten Versen bezeichnet: 'Wir stehen an einer Zeitenwende,
der alte Aion ist abgelaufen, ein neuer zieht herauf. Diese Schicksal-
stunde ist nach der Prophetie der Sibylle jetzt da. Bald wird sich
alles zum Guten wenden' (Vers q f.). Nun lasse man an seinem Geist
die Fülle der Prophetien auf eine Heilszeit vorüberziehen. Ausnahms-
los ertönen sie aus Zeiten der Leiden, der Sehnsucht, der Hoffnung:
Schrecknisse der Vergangenheit dauern bis in die Gegenwart, in der
sie ihren Höhepunkt erreicht haben; bald muß eine Wendung zum
Besseren, eine peTaßoXn eni to ßehriov, wie man das nannte, erfolgen.
Diese ist es, die der Prophet den Volksgenossen kündet: 'Eure Not
ist aufs höchste gestiegen, aber seid getrost, schon naht euch der
Retter.' So ist es in den aegyptischen Prophetien, die wir kennen
lernen werden, so in den Weissagungen des Alten, so in denen des
Neuen Testaments, die Johannes dem Täufer und Jesus in den Mund
gelegt werden, so in den jüdischen Apokalypsen und in der johan-
neischen. Aus der Fülle sei nur ein einziges Beispiel, das uns weiter-
hin genauer beschäftigen muß, schon hier angeführt. Als das König-
reich Juda vor einer Katastrophe stand, verkündete Jesaja, mitten
aus der Schreckenszeit heraus, den Anbruch einer Heilszeit durch
die Geburt eines gotterwählten Kindes. Wer das virgilische Gedicht
aus dieser Reihe herauslöst, isoliert es. Aber es paßt sich genau in
sie ein, wenn man ihm die Zeitverhältnisse kurz vor der Jahreswende
41/40 zugrundelegt. Der Bürgerkrieg, der nach der Dauer fast eines
Jahrzehnts beendet schien, war im Herbst 41 von neuem ausgebrochen.
1) 7e duce, si qua manent sceleris vestigia nostri, inrita perpetua solvent for-
midine terras. Auch nach der Geburt des Kindes bleiben vielleicht etwaige Spuren
unserer Sünde (vgl. 31); ihre Tilgung unter deiner Führung, Pollio, wird die Welt
von dem immerwährenden Grausen lösen.
Kindes geknüpft, das bestimmt ist, die neue Aera zu inaugurieren.
Wie nun also? der Friede geschlossen, und das Kind, der Friede-
bringer, noch ungeboren? Das erscheint nicht vorstellbar. Es kommt
ein weiteres Moment hinzu. Im Vers 14 ist von einer perpetua for-
mido, einem immerwährenden Grausen, die Rede, das die Erde im
Bann halte.1) So konnte nicht mehr nach dem Abschluß eines Frie-
dens geredet werden, der den Bann gebrochen zu haben schien. Nur
durch die Annahme eines vaticinium ex eventu würden sich diese
beiden Bedenken zur Not beschwichtigen lassen. Aber zu der An-
wendung eines derartigen Gewaltmittels böte die Ekloge auch nicht
den Schein eines Rechts: keine Spur deutet darauf, daß die Pro-
phetie anders als aus der Gegenwart selbst heraus erfolgt. Und nun
überlege man sich folgendes. Die Grundvoraussetzung der Ekloge ist
in ihren ersten Versen bezeichnet: 'Wir stehen an einer Zeitenwende,
der alte Aion ist abgelaufen, ein neuer zieht herauf. Diese Schicksal-
stunde ist nach der Prophetie der Sibylle jetzt da. Bald wird sich
alles zum Guten wenden' (Vers q f.). Nun lasse man an seinem Geist
die Fülle der Prophetien auf eine Heilszeit vorüberziehen. Ausnahms-
los ertönen sie aus Zeiten der Leiden, der Sehnsucht, der Hoffnung:
Schrecknisse der Vergangenheit dauern bis in die Gegenwart, in der
sie ihren Höhepunkt erreicht haben; bald muß eine Wendung zum
Besseren, eine peTaßoXn eni to ßehriov, wie man das nannte, erfolgen.
Diese ist es, die der Prophet den Volksgenossen kündet: 'Eure Not
ist aufs höchste gestiegen, aber seid getrost, schon naht euch der
Retter.' So ist es in den aegyptischen Prophetien, die wir kennen
lernen werden, so in den Weissagungen des Alten, so in denen des
Neuen Testaments, die Johannes dem Täufer und Jesus in den Mund
gelegt werden, so in den jüdischen Apokalypsen und in der johan-
neischen. Aus der Fülle sei nur ein einziges Beispiel, das uns weiter-
hin genauer beschäftigen muß, schon hier angeführt. Als das König-
reich Juda vor einer Katastrophe stand, verkündete Jesaja, mitten
aus der Schreckenszeit heraus, den Anbruch einer Heilszeit durch
die Geburt eines gotterwählten Kindes. Wer das virgilische Gedicht
aus dieser Reihe herauslöst, isoliert es. Aber es paßt sich genau in
sie ein, wenn man ihm die Zeitverhältnisse kurz vor der Jahreswende
41/40 zugrundelegt. Der Bürgerkrieg, der nach der Dauer fast eines
Jahrzehnts beendet schien, war im Herbst 41 von neuem ausgebrochen.
1) 7e duce, si qua manent sceleris vestigia nostri, inrita perpetua solvent for-
midine terras. Auch nach der Geburt des Kindes bleiben vielleicht etwaige Spuren
unserer Sünde (vgl. 31); ihre Tilgung unter deiner Führung, Pollio, wird die Welt
von dem immerwährenden Grausen lösen.