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IX. Die Sibylle 145
dem der Pomp dramatischer Erzählungskunst als Erben großer historio-
graphischer Vergangenheit zu Gebote stand, mit dem Schimmer des
Tragischen, das ob Völkern und Menschenkindern waltet, umkleidet
haben mag. Der künstliche Glanz dieses Helios war jäh verblichen.
Der Sieger hat seiner wie der Zwillingsschwester, während er Caesarion
beseitigen ließ, geschont. Selene wurde später mit Tuba vermählt,
dem der Herrscher das neugeschaffene Königreich Mauretanien ver-
lieh; Helios wurde dem Königspaar überwiesen.1) Dann ist von ihm
nicht weiter die Rede; er mag jung gestorben oder der Vergessen-
heit anheimgefallen sein. So unscheinbar trat von der Weltbühne ein
Kind ab, dem seine Eltern beispielloses Erleben auf ihr zugedacht
hatten. Aber das Phantasiegeschöpf des Dichters schwebt, eben weil
es unwirklich war, glanzvoll über sie dahin mit der Glorie der Un-
sterblichkeit.
IX. DIE SIBYLLE
Mag es uns gelungen sein der Ekloge ihren Platz innerhalb der
langen Entwicklungsgeschichte anzuweisen, die ihre Grundidee durch-
laufen hat, so ist die Frage nach der unmittelbaren Vorlage des
Dichters schwer zu beantworten; vielleicht ist sie so auch nicht ganz
richtig gestellt. Denn so sicher in seinen Werken viel Buchgelehr-
samkeit steckt, ist durch die Forschung der letzten Jahrzehnte doch
erwiesen worden, daß er übernommenen Stoff stets frei gestaltete.
Wo immer wir seine Vorlagen, wie Homer und Apollonios, Aratos
und Theokritos besitzen, sehen wir ihn produktive uimicic üben; dies
muß also auch in den Fällen gelten, wo sie uns verloren sind. Das
Cumaeum carrnen, von dem die Ekloge ihren Ausgang nimmt, ver-
mögen wir nicht deutlich zu erfassen, uns also von dem Erweiterungs-
oder Umstilisierungsprozesse, dem er es unterzog, keine ganz be-
stimmte Vorstellung zu machen. Zwei unter sich eng zusammen-
hängende Zentralideen der Ekloge, Beginn der Regentschaft des
Helios und Anbruch eines neuen Weltzeitalters, sind uns von den
alten Erklärern des Gedichts für die Sibyllistik bezeugt (0. S. 15, 1. 2).
Darüber hinaus wird sich einiges Allgemeine, aber wohl auch eine
oder die andere Einzelheit ermitteln lassen.
Die Sibyllistik war künstlerisch so wertlos, daß sie kaum Poesie
heißen darf. Das gilt nicht bloß von unserer jüdisch-christlichen
Sammlung, sondern auch von deren Vorlagen, soweit sie uns einiger-
1) Dio LI 15. Vgl. Suet. Aug. 17, 5 Augustus ... Antoni reginaeque communes
liberos non secus ac necessitudine iunctos sibi et conservavit et mox pro condicione
cuiusque sustinuit ac favit.
Norden, Die Geburt des Kindes IO
 
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