I. Der Geburtstag des Helios
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Reihe.1) Die Vorstellung von einer Regentschaft bestimmter Götter
gerade auch des Helios, in den einzelnen Weltaltern ist auch sonst
bezeugt2), und die alte Gleichsetzung Apollons mit dem Sonnen-
1) Die Worte des Servius lauten: 'ultima Cymaei v. i. c. a.': Sibyllini, quae Cu-
mana fuit et saecula per metalla divisit. dixit etiam quis quo saeculo imperaret, et
Solern ultimum id est decimum voluit. novimus autem eundem esse Apollinem, unde
dicit (10) 'tuus iam regnat Apollo', dixit etiam Jinitis omnibus saeculis rursus eadem
innovari. Hierin sind richtig die Angaben 1. über das Regiment einzelner Gestirn-
götter in den einzelnen Abschnitten des Weltjahrs, 2. über die Identität des Apollo
mit Sol: denn diese Angaben lassen sich aus anderweitiger Überlieferung bestätigen,
vgl. die zwei folg. Anm. Falsch aber ist die Behauptung, daß die ultima aetas des
virgilischen Verses das saeculum Solis als letztes in der Reihe sei (vgl. auch die
Bemerkung zu Vers 10: 'tuus iam regnat Apollo': ultimum saeculum ostendit, quod
Sibylla Solis esse memoravit). Dem widersprechen die Worte des Dichters selbst (q f.):
ultima Cumaei venit iam carminis aetas:
magnus ab integro saeclorum nascitur ordo.
Die letzte Zeit ist schon da, und gleich wird der neue Zeitlauf beginnen, vgl. 12 in-
cipient magni procedere menses: das sind die Monate des neuen eviavToc p^yac. Mit
den Worten ab integro nascitur wird der Begriff naxinevecia paraphrasiert, also: 'fit
naXinevecia temporum'. Das jetzt abgelaufene Weltjahr hatte einst mit dem goldenen
Zeitalter begonnen; am Anfang des jetzt beginnenden neuen steht wieder ein aureum
saeculum: 6 redeuni Saturnia regna usw. Durch diese Auffassung, in der ich mich
mit Fr. Boll (nach brieflicher Mitteilung) eins weiß, zerstreuen sich die Bedenken
H. Lietzmanns, der in einer eindringenden Untersuchung dieser Verse in seinem Büch-
lein „Der Weltheiland" (Bonn 1909, S. 35 ff.) — übrigens dem Weitsichtigsten, was
über dieses Forschungsgebiet gesagt ist — den Dichter nur deshalb eines Wider-
spruchs zeihen zu müssen glaubte, weil er sich bedingungslos auf die Seite des Scho-
lions stellte, dessen Wert erkannt zu haben ein wichtiger Fortschritt L.s über die
Trivialexegese war. Der Fall liegt ganz ähnlich wie der oben S. 11, 1 berührte: bei Ser-
vius ist, wie so oft, Richtiges und Wichtiges, das er (aus langer Hand) seinen Vor-
lagen entnahm, durch verkehrten Gebrauch, den er auf eigene Verantwortung davon
macht, in seinem Werte geschmälert. Schon J. Geffcken a. a. O. (0. S. 13, 2) 326 h hat
das Serviusscholion einer Kritik unterzogen. — Als ich mir diese Ansicht über das
Serviusscholion gebildet hatte, beschloß ich, da es Chronologie betrifft, nachzusehen,
ob Mommsen sich dazu geäußert habe. Dies ist der Fall (Röm. Chronol.2 1859, 184,
Anm. 361), und zwar bezeichnet auch er das „zehnte Saeculum" des Servius als einen
Irrtum, mißt im übrigen seinen Worten Glauben bei und versteht die beiden virgi-
lischen Verse qf. genau so, wie es hier geschehen ist. Den Irrtum des Servius leitet
Mommsen glaubhaft aus der in den Scholien zu ecl. 9, 46 berichteten Geschichte ab,
die an den bei den Leichenspielen für den Diktator Caesar erschienenen Kometen an-
knüpfte: Vulcanius aruspex in contione dixit cometen esse, qui signijicaret exitum noni
saeculi et ingressum decimi; das war etruskische Lehre, die mit jener nichts zu tun hat.
2) In der in der vorigen Anmerkung zitierten Stelle des Servius finden die Worte
dixit (Sibylla) quis quo saeculo imperaret ihre Bestätigung in der astrologischen Lehre
von den xpovoKpaTopiat der Planeten. Fr. Cumont hat im Catal. cod. astrol. Graec. IV
(Brüssel 1903) iijff. aus einem cod. Mutinensis einen kleinen Traktat über die sieben
Weltzeitalter veröffentlicht, zu dessen Verständnis er bemerkt: 'Astrologi planetas non
solum singulis hebdomadis diebus singulisque dierum horis praesidere docuerunt sed
eos per longas annorum series vicissim xpovoKpaxopiav exercuisse ... Quae dogmata
solus . . . superstitum auctorum diserte exponit Firm. Mat. III, 1, 10 sqq.sed
scriptor latinus ab hisce Chaldaeorum praeceptis valde discrepat . . . Quas fabulas
revera ab antiquis Chaldaeis originem accepisse mihi verisimile est, nam late inter
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Reihe.1) Die Vorstellung von einer Regentschaft bestimmter Götter
gerade auch des Helios, in den einzelnen Weltaltern ist auch sonst
bezeugt2), und die alte Gleichsetzung Apollons mit dem Sonnen-
1) Die Worte des Servius lauten: 'ultima Cymaei v. i. c. a.': Sibyllini, quae Cu-
mana fuit et saecula per metalla divisit. dixit etiam quis quo saeculo imperaret, et
Solern ultimum id est decimum voluit. novimus autem eundem esse Apollinem, unde
dicit (10) 'tuus iam regnat Apollo', dixit etiam Jinitis omnibus saeculis rursus eadem
innovari. Hierin sind richtig die Angaben 1. über das Regiment einzelner Gestirn-
götter in den einzelnen Abschnitten des Weltjahrs, 2. über die Identität des Apollo
mit Sol: denn diese Angaben lassen sich aus anderweitiger Überlieferung bestätigen,
vgl. die zwei folg. Anm. Falsch aber ist die Behauptung, daß die ultima aetas des
virgilischen Verses das saeculum Solis als letztes in der Reihe sei (vgl. auch die
Bemerkung zu Vers 10: 'tuus iam regnat Apollo': ultimum saeculum ostendit, quod
Sibylla Solis esse memoravit). Dem widersprechen die Worte des Dichters selbst (q f.):
ultima Cumaei venit iam carminis aetas:
magnus ab integro saeclorum nascitur ordo.
Die letzte Zeit ist schon da, und gleich wird der neue Zeitlauf beginnen, vgl. 12 in-
cipient magni procedere menses: das sind die Monate des neuen eviavToc p^yac. Mit
den Worten ab integro nascitur wird der Begriff naxinevecia paraphrasiert, also: 'fit
naXinevecia temporum'. Das jetzt abgelaufene Weltjahr hatte einst mit dem goldenen
Zeitalter begonnen; am Anfang des jetzt beginnenden neuen steht wieder ein aureum
saeculum: 6 redeuni Saturnia regna usw. Durch diese Auffassung, in der ich mich
mit Fr. Boll (nach brieflicher Mitteilung) eins weiß, zerstreuen sich die Bedenken
H. Lietzmanns, der in einer eindringenden Untersuchung dieser Verse in seinem Büch-
lein „Der Weltheiland" (Bonn 1909, S. 35 ff.) — übrigens dem Weitsichtigsten, was
über dieses Forschungsgebiet gesagt ist — den Dichter nur deshalb eines Wider-
spruchs zeihen zu müssen glaubte, weil er sich bedingungslos auf die Seite des Scho-
lions stellte, dessen Wert erkannt zu haben ein wichtiger Fortschritt L.s über die
Trivialexegese war. Der Fall liegt ganz ähnlich wie der oben S. 11, 1 berührte: bei Ser-
vius ist, wie so oft, Richtiges und Wichtiges, das er (aus langer Hand) seinen Vor-
lagen entnahm, durch verkehrten Gebrauch, den er auf eigene Verantwortung davon
macht, in seinem Werte geschmälert. Schon J. Geffcken a. a. O. (0. S. 13, 2) 326 h hat
das Serviusscholion einer Kritik unterzogen. — Als ich mir diese Ansicht über das
Serviusscholion gebildet hatte, beschloß ich, da es Chronologie betrifft, nachzusehen,
ob Mommsen sich dazu geäußert habe. Dies ist der Fall (Röm. Chronol.2 1859, 184,
Anm. 361), und zwar bezeichnet auch er das „zehnte Saeculum" des Servius als einen
Irrtum, mißt im übrigen seinen Worten Glauben bei und versteht die beiden virgi-
lischen Verse qf. genau so, wie es hier geschehen ist. Den Irrtum des Servius leitet
Mommsen glaubhaft aus der in den Scholien zu ecl. 9, 46 berichteten Geschichte ab,
die an den bei den Leichenspielen für den Diktator Caesar erschienenen Kometen an-
knüpfte: Vulcanius aruspex in contione dixit cometen esse, qui signijicaret exitum noni
saeculi et ingressum decimi; das war etruskische Lehre, die mit jener nichts zu tun hat.
2) In der in der vorigen Anmerkung zitierten Stelle des Servius finden die Worte
dixit (Sibylla) quis quo saeculo imperaret ihre Bestätigung in der astrologischen Lehre
von den xpovoKpaTopiat der Planeten. Fr. Cumont hat im Catal. cod. astrol. Graec. IV
(Brüssel 1903) iijff. aus einem cod. Mutinensis einen kleinen Traktat über die sieben
Weltzeitalter veröffentlicht, zu dessen Verständnis er bemerkt: 'Astrologi planetas non
solum singulis hebdomadis diebus singulisque dierum horis praesidere docuerunt sed
eos per longas annorum series vicissim xpovoKpaxopiav exercuisse ... Quae dogmata
solus . . . superstitum auctorum diserte exponit Firm. Mat. III, 1, 10 sqq.sed
scriptor latinus ab hisce Chaldaeorum praeceptis valde discrepat . . . Quas fabulas
revera ab antiquis Chaldaeis originem accepisse mihi verisimile est, nam late inter