304
DIETER MERTENS
Hochmittelalter nehmen und gleichzeitig die Tatsache, dass es sich um eine Königs- und
eine Kaiserurkunde handelt, für die Königsnähe, das unmittelbare Mitspielen des Königs
in dieser Zeit werten. Den zweiten zeitlichen Schwerpunkt bildete das Spätmittelalter und
der Beginn der frühen Neuzeit mit den territorialen Kräften, die aus dem Untergang der
Staufer Nutzen gezogen haben, und nun - jedenfalls bis zum Königtum Karls IV. - ganz
massiv, danach teilweise die Könige zu Gegnern hatten. Es ging also nicht um die Mitwir-
kung oder unmittelbare Einwirkung des Königs wie in der Stauferzeit, sondern um die
Gegnerschaft. Herr Weinfurter hatte zur ersten Periode gesagt, sie sei ein Ausleseprozess,
der sich etwa von 1050 bis 1250 hinziehe, von der Formierungsphase der Adelsgeschlech-
ter, als sie die Höhenburgen bauten, nach denen sie sich benannten, bis hin zum massiven
Herrschaftsaufbau des Adels, für Baden gesprochen unter Markgraf Hermann V. Wer die-
sen Prozess nicht überlebte, sagte Herr Weinfurter, der schied aus.
Uber die zweite Periode kann man indes ebensogut sagen, dass in ihr ein Auslesepro-
zess stattfand. Die Gewinner und Verlierer wurden genannt, die Gewinner waren gewiss
Baden und Württemberg, aber Herr Krieg und Herr Rückert haben auch die Verlierer
genannt, zum Teil beiläufig, zum Teil explizit: Die Grafen von Vaihingen und Eberstein,
die Herzöge von Teck, die Pfalzgrafen von Tübingen. Man könnte auch die großen Klö-
ster nennen, die den werdenden Territorien zunehmend eingefügt wurden. Wichtig ist
sicher auch, um sich den Unterschied dieser Perioden vor Augen zu führen, der Hinweis
von Herrn Weinfurter auf den Stilwandel der Politik, als er erklärte, dass im 13. Jahrhun-
dert Lorsch, eines der ganz großen, besitzreichen Klöster des frühen Mittelalters, im
13. Jahrhundert regelrecht tranchiert und zerlegt wurde. Diese zweite Periode des Ausle-
seprozesses - man könnte genau so gut vom Verherrschaftlichungsprozess sprechen, wie
Herr Weinfurter es für das Hochmittelalter tat-kommt in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts unter den luxemburgischen Königen, deutlich schon unter Kaiser Karl IV,
dadurch zur Ruhe, dass die Gewinne, die Baden und Württemberg im Interregnum
gemacht haben, nicht mehr in Frage gestellt, dass die begonnenen Territorialbildungen
vielmehr anerkannt werden und die Beziehungen der politischen Kräfte im Reich deutli-
cher fixiert oder gar formalisiert werden. Die Königswahl wird geregelt, und die Zahl der
königsfähigen Familien reduziert sich auf zwei Häuser. Daneben haben wir die Rechtsge-
stalt der Kurfürstentümer, welche die übrigen Fürstentümer unter sich lassen und in die
Nähe der nichtfürstlichen Grafen und Herren verweisen. Deren Rechtsbereiche werden
fixiert, der Wandel vom Hoftag zum Reichstag findet statt, Reichsmatrikeln werden ange-
legt, kurzum, der Wandel von der von Peter Moraw so genannten offenen Verfassung, in
der ein rascher Auf- und Abstieg und vieles andere möglich war, zur zunehmend formali-
sierten Verdichtung der politischen Beziehungen zeichnet sich ab, womit aber keine Sta-
gnation gemeint ist. Ein Fürst im 11. und 12. Jahrhundert - die Frage des Fürstenranges
wurde immer wieder angesprochen - ist sicherlich etwas anderes als ein Fürst im Spätmit-
telalter, weil das Adelsgefüge ein anderes ist und vor allem auch, weil die Kurfürsten als
höchste Rangstufe entstehen. Aber auch die Geschlechter selber ändern ihre Vorstellun-
gen von ihrem Platz im Adelsgefüge.
Das betrifft m. E. die Württemberger wie auch die Markgrafen von Baden, die ihre
Verwandtschaft mit den Herzögen von Schwaben, auf die im Hochmittelalter so viel Wert
zu legen ist, und ihre Verwandtschaft mit den Zähringern als deren Seitenlinie, ja insge-
samt ihre Verwurzelung im Herzogsgeschlecht aus karolingischem Blut - ich erinnere an
DIETER MERTENS
Hochmittelalter nehmen und gleichzeitig die Tatsache, dass es sich um eine Königs- und
eine Kaiserurkunde handelt, für die Königsnähe, das unmittelbare Mitspielen des Königs
in dieser Zeit werten. Den zweiten zeitlichen Schwerpunkt bildete das Spätmittelalter und
der Beginn der frühen Neuzeit mit den territorialen Kräften, die aus dem Untergang der
Staufer Nutzen gezogen haben, und nun - jedenfalls bis zum Königtum Karls IV. - ganz
massiv, danach teilweise die Könige zu Gegnern hatten. Es ging also nicht um die Mitwir-
kung oder unmittelbare Einwirkung des Königs wie in der Stauferzeit, sondern um die
Gegnerschaft. Herr Weinfurter hatte zur ersten Periode gesagt, sie sei ein Ausleseprozess,
der sich etwa von 1050 bis 1250 hinziehe, von der Formierungsphase der Adelsgeschlech-
ter, als sie die Höhenburgen bauten, nach denen sie sich benannten, bis hin zum massiven
Herrschaftsaufbau des Adels, für Baden gesprochen unter Markgraf Hermann V. Wer die-
sen Prozess nicht überlebte, sagte Herr Weinfurter, der schied aus.
Uber die zweite Periode kann man indes ebensogut sagen, dass in ihr ein Auslesepro-
zess stattfand. Die Gewinner und Verlierer wurden genannt, die Gewinner waren gewiss
Baden und Württemberg, aber Herr Krieg und Herr Rückert haben auch die Verlierer
genannt, zum Teil beiläufig, zum Teil explizit: Die Grafen von Vaihingen und Eberstein,
die Herzöge von Teck, die Pfalzgrafen von Tübingen. Man könnte auch die großen Klö-
ster nennen, die den werdenden Territorien zunehmend eingefügt wurden. Wichtig ist
sicher auch, um sich den Unterschied dieser Perioden vor Augen zu führen, der Hinweis
von Herrn Weinfurter auf den Stilwandel der Politik, als er erklärte, dass im 13. Jahrhun-
dert Lorsch, eines der ganz großen, besitzreichen Klöster des frühen Mittelalters, im
13. Jahrhundert regelrecht tranchiert und zerlegt wurde. Diese zweite Periode des Ausle-
seprozesses - man könnte genau so gut vom Verherrschaftlichungsprozess sprechen, wie
Herr Weinfurter es für das Hochmittelalter tat-kommt in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts unter den luxemburgischen Königen, deutlich schon unter Kaiser Karl IV,
dadurch zur Ruhe, dass die Gewinne, die Baden und Württemberg im Interregnum
gemacht haben, nicht mehr in Frage gestellt, dass die begonnenen Territorialbildungen
vielmehr anerkannt werden und die Beziehungen der politischen Kräfte im Reich deutli-
cher fixiert oder gar formalisiert werden. Die Königswahl wird geregelt, und die Zahl der
königsfähigen Familien reduziert sich auf zwei Häuser. Daneben haben wir die Rechtsge-
stalt der Kurfürstentümer, welche die übrigen Fürstentümer unter sich lassen und in die
Nähe der nichtfürstlichen Grafen und Herren verweisen. Deren Rechtsbereiche werden
fixiert, der Wandel vom Hoftag zum Reichstag findet statt, Reichsmatrikeln werden ange-
legt, kurzum, der Wandel von der von Peter Moraw so genannten offenen Verfassung, in
der ein rascher Auf- und Abstieg und vieles andere möglich war, zur zunehmend formali-
sierten Verdichtung der politischen Beziehungen zeichnet sich ab, womit aber keine Sta-
gnation gemeint ist. Ein Fürst im 11. und 12. Jahrhundert - die Frage des Fürstenranges
wurde immer wieder angesprochen - ist sicherlich etwas anderes als ein Fürst im Spätmit-
telalter, weil das Adelsgefüge ein anderes ist und vor allem auch, weil die Kurfürsten als
höchste Rangstufe entstehen. Aber auch die Geschlechter selber ändern ihre Vorstellun-
gen von ihrem Platz im Adelsgefüge.
Das betrifft m. E. die Württemberger wie auch die Markgrafen von Baden, die ihre
Verwandtschaft mit den Herzögen von Schwaben, auf die im Hochmittelalter so viel Wert
zu legen ist, und ihre Verwandtschaft mit den Zähringern als deren Seitenlinie, ja insge-
samt ihre Verwurzelung im Herzogsgeschlecht aus karolingischem Blut - ich erinnere an