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H, DE TOULOUSE-LAUTREC

ON DEN französischen
Künstlern, die sich
zur Schule der Mo-
dernen rechnen, ist
H. de Toulouse-
Lautrec eines der
stärksten und ori-

ginellsten
Vielleicht
tüchtigste
der

Talente,
ist er der
Zeichner
jungen Schule,
und seit langem schon zeichnet er mit einer Art
von hartnäckiger Verbissenheit. So ist er dahin
gelangt, vollkommen ausdrücken zu können, was er
sagen will, und es auszudrücken in einer Sprache,
die ihm durchaus angehört.

Wie er Form und Bewegung zeichnet, ist eben
so interessant, wie seine Art den Charakter wieder-
zugeben. In der Schilderung der Helden des Liebe-
lebens, wie es in den Weltstädten an die Oeffent-
lichkeit tritt, ist Lautrec Spezialist; das Treiben der
Mädchen, wie sie gehen und tanzen, flanieren oder
Träumereien sich hingeben, hat er besser und stil-
voller gezeichnet als irgend ein andrer. Ebenso
treffend schildert er das Gebahren der Herren, wie
sie dick oder dünn wie Gerippe in Kleidern nach
englischem Schnitt stecken und sich als Repräsen-
tanten der civilisierten Welt fühlen.

In der Charakteristik versteht es Lautrec mit
einer Kleinigkeit, Laster und Dummheit anzudeuten:
mit einem Zwinkern der Augen, mit einem Verziehen
der Lippe, mit einer Accentuierung des Kinnes oder
der Grübchen, mit einer Betonung in der Bewegung
des Kopfes oder mit dem Hervorheben eines mo-
dischen Putzes. Es ist wunderbar, wie der Künstler
zugleich das Lächerliche unserer Kleidung mit ihrem
Stil hervorzuheben weiss. Und er fasst den Menschen
und seine Kleidung als ein zusammengehöriges,
lebendiges auf. Mit Recht konnte ein solcher Be-
obachter auf einige seiner Lithographien schreiben:
xj'ai vu gac<r.

Auch sein Colorit, seine Farbe ist etwas durchaus
eigenartiges. Seine Farbe ist lebhaft und ein-

schmeichelnd zugleich. Alle seine Bilder und farbigen
Lithographien zeichnen sich bei lebhaften Gegensätzen
durch eine sehr feine und gesuchte Harmonie aus.

Was aus Lautrec's Händen hervorgeht, ist Aus-
druck einer entschiedenen Ueberzeugung. Lautrec
liebt seine Kunst, und ich glaube, er liebt nur seine
Kunst. Seine grössten Freuden sind japanische
Drucke, Bilder italienischer oder niederländischer
Primitiver; von den Modernen zieht er Degas und
Daumier allen Andren vor. Das Leben, das Treiben
um ihn her, zieht ihn mächtig an; er betrachtet es
mit aufmerksamer Ironie. Eifrig sammelt er seine
„Documente", und ihn interessieren Hässlichkeiten
und Laster ebenso wie ein Album von Hokusai oder
das Schuhwerk einer Tänzerin vom Moulin Rouge.

Das ist Lautrec's Philosophie. Er schmeichelt
keinem und scheut vor nichts zurück. Er hat die
berühmtesten Schauspielerinnen und professional
beauties skizzirt, und er hat sie so unbarmherzig
analysiert, dass viele sich streuben die Wahrhaftig-
keit der Zeichnung anzuerkennen. Und doch hat
Toulouse-Lautrec Recht. Denn die Frau auf den
Brettern, die galante Dame ist hässlich, sowie man
aufhört sie mit den Augen der Phantasie zu sehen
oder in den retouchierten Photographien zu be-
trachten. Mit ihrem übertriebenen Putz, ihrer
Schminke, ist sie von oben bis unten zurecht ge-
macht, und in derThat verkünstelt, entstellt, hässlich,
wie sie Lautrec uns zeigt. Was wir da sagen, wird
freilich die Leute nicht abhalten, diese Frau schön
zu finden, — ein Glück für uns und ein Glück für sie.

Viel Raffinement, viel Wollen und viel Können
— das charakterisiert kurz diesen jungen Künstler,
der in der Malerei, als originaler Lithograph, als
Illustrator und Plakatzeichner sich einen hervor-
ragenden Platz erworben hat. Ich war Zeuge seiner
Anfänge und als ich sein Werk lobte, war ich
sicher, mich nicht zu irren, denn ich stand einem
unermüdlichen Arbeiter gegenüber. Es freut mich
besonders, dass ich den Lesern des PAN darlegen
konnte, wesshalb die Kunst Lautrec's Beachtung
verdient und warum sie gefällt, ohne gefallen
zu wollen.

Arsene Alexandre.

C 196 »
 
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