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den Dichtern nennt er mit Vorliebe besonders Maeterlinck,
bei dem er auch etwas „dekoratives und ornamentales" findet,
und unter den Künstlern besonders den Dänen Bindesbölle
und Grasset. „Am liebsten," schreibt er, „würde ich dem
Grasset gleichen, aber nur so wie Norwegen mit seiner
Tradition dem reichen Frankreich mit seiner mittelalterlichen
Gothik gleichen darf.« Er bedauert, dass er so wenig z. B.
von der Frührenaissance gesehen. „Aber durch das, was ich
gesehen habe", schreibt er, — „von den alten Denkmälern
im Louvre bis auf die jüngsten Symbolisten, — habe ich mir
den lieberblick, der gewiss unumgänglich notwendig war,
ebenso notwendig vielleicht als die Kenntnis unserer eignen
Industrie und unserer alten Litteratur, erworben."

Derselbe Drang, der sich überall in Europa mit wachsen-
der Stärke regt, ist auch in Gerhard Munthe lebendig. Man
begnügt sich nicht länger mit der reinen Staffeleikunst
allein; man zielt nach dem dekorativen und dem monumentalen.

Unser Jahrhundert ist von StafFeleikunst überschwemmt.
Seit der Gründung der Akademien, vor allen Dingen seit der
französischen Revolution und der Aufhebung der Zünfte, ist
die Malerei (cf. Max Klinger), wie auch in vielen Beziehungen
die Skulptur (cf. Adolf Hildebrand), von der Baukunst
und der Kunstindustrie losgerissen. Das Handwerk verachtend,
von der Architektur losgerissen, ist die Malerei in eingebildeter
Ueberlegenheit ihren eignen Weg gewandelt. Dazu kommt,
dass die Malerei unserer Zeit unter ganz neuen Verhältnissen
arbeitet, die sie noch mehr in ihrer Einseitigkeit stärkt.
Die öffentlichen Gallerien und viel mehr die grossen
Ausstellungen sind der Malerei eine Versuchung gewesen,
welcher zu widerstehen sie nicht Stärke genug gehabt hat.
Wir werden von Staffeleikunst überschwemmt, von schwer
eingerahmten Oelbildern, die, allein für die Ausstellungen ge-
malt, in unserem Kulturleben wurzellos und heimatlos da-
stehen, wenn sie nicht in einer öffentlichen Gallerie einen
Platz gewinnen. Statt der feinsinnigen und feingebildeten
Mäcene früherer Zeiten und ihres verständnisvollen Zu-
sammenarbeitens mit den ausübenden Künstlern haben wir
jetzt die Kunstvereine unsers Jahrhunderts, die auf Lotterie,
das heisst auf Zufall gegründet sind. Die Malerei unseres
Jahrhunderts hat ihr Lob und ihre Stärke in ihrem Ernst: in
der Erneuerung des Naturgefühls, in der Tiefe der Menschen-
darstellung, in ihrem lebendigen Zusammenhang mit den
Kulturgedanken der Zeit, wie in ihren malerischen Er-
oberungen. Die Kunst ist aber nie in dem Grade von den
Gewohnheiten des alltäglichen häuslichen Lebens losgerissen,
wie in unserer Zeit. Hier in diesem Punkte fühlen wir am
tiefsten ihre durchgreifende ratlose Stillosigkeit. Was wir
vor allem nötig haben, das ist eine neue Baukunst, von neuen
genialen Gedanken lebendig gemacht. Eine geniale Baukunst,
die Stärke besitzt, um ein grosses alles umfassendes Zusammen-
spiel von Malerei, Skulptur und Handwerk zu schaffen, und
die auch Geschmeidigkeit besitzt, um sich nach den Ge-
wohnheiten des täglichen Lebens zu fügen und alles, selbst
das Kleinste nach seinem Geiste zu prägen.

Gesetzt, dass dieser Baukunst neue Erfindungen zur Ver-
fügung gestellt würden: andre Stoffe für die Wände unserer

Zimmer, Stoffe, die, von der Hygiene einer neuen Arznei-
kunde aus empfohlen, als Grundlage einer dekorativen Kunst
geeignet wären, dann würden wir vielleicht erleben, die
Staffeleikunst von ihrer einseitigen Uebergewalt zu einer
untergeordneteren Rolle zurückgedrängt zu sehen.

Einer solchen Architektur — einer munteren farbigen —
liefert Gerhard Munthes Kunst für Norwegen eine grund-
legende Vorarbeit. Im freien, persönlichen Geiste hat er eine
nationale dekorative Formel geschaffen, die über viele Ge-
biete eine reiche Anwendung finden kann.

In unserer alten Holzbaukunst, die sich jetzt zu erneuern
anfängt, -wie in unserem alten Holzschnitte und in dem
wiedererweckten, vielverbreiteten Sinne für nationale Textil-
industrie liegen Elemente vor, die eine solche Entwickelung
fördern können.

Bis jetzt aber steht Gerhard Munthe in seiner genialen
Eigenart ziemlich allein; kein einziger Architekt hat bei ihm
Teppiche bestellt. Die bis jetzt leitenden Kunstgelehrten bei
uns stehen seinen Bestrebungen kalt gegenüber. Der Direktor
des Kunstgewerbemuseums in Bergen H. Johann Böhg allein
hat für seine Sammlungen drei von Frau Gerhard Munthes
Wandteppichen gekauft. Bei solchen Verhältnissen kann man
sich nicht so sehr wundern, dass er sich an das ärmliche
Papier hält.

Als Farbe verkündigt Gerhard Munthes dekorative Kunst
eine tiefergreifende Revolution, dieselbe Umwertung der
Werte, die Alfred Lichtwark in seinem Mackartbouquet und
Blumenstrauss für Deutschland verkündigt. Es ist somit ver-
ständlich, dass dieser neue frische Farbengeschmack vielen zu
scharf wirkt.

Diese dekorative Bewegung ist ja bei uns ganz neu. Vor drei
Jahren war Gerhard Munthe selbst nur Staffeleimaler, und eben
als solcher einer unserer tiefsten und derbsten Landschafter.

Die Maler lebten bis auf die heutige Generation ohne
besonderes Interesse für das dekorative und ornamentale. Der
geniale Dahl, der Gründer der norwegischen Malerkunst,
hatte freilich früh die Aufmerksamkeit auf unsere mittel-
alterliche Holzbaukunst gerichtet und sie als Vorbild für
unsere Zeit hingestellt. Bis auf den heutigen Tag haben die
Maler selbst aber keinen persönlichen Beitrag zu dieser Ent-
wickelung geleistet. Eben hier liegt das Verheissungsvollste
in Gerhard Munthes bahnbrechender Wirksamkeit. Und in-
sofern steht er nicht allein; er besitzt die Sympathie der ersten
Künstler und der feinsten Kunstfreunde. Viele werden ihm
bald nachfolgen.

-&

Die Probe, die der Pan jetzt mitteilt, giebt nur eine
ziemlich unzulängliche Vorstellung von der reichen und viel-
seitigen Phantasie Gerhard Munthes. Die Komposition giebt
ein norwegisches Motiv. Sie illustriert — wenn man bei
Munthe überhaupt von Illustrieren sprechen kann — zwei
derbe Zeilen eines Volksliedes: Die Müllerstochter tanzt und
schlägt den Takt mit den Füssen, und geht dann auf die Spiel-
wiese dem König Halvon entgegen.

Ausgelassen wie Grieg in seinen nationalen Springtanz-
melodien hat Munthe in diesem Blatt ein Scherzo für das
Auge gegeben, bei dem wir nicht am wenigstens die originale

C 203 ])
 
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