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EIN ENGLISCHER ILLUSTRATOR

DER MODERNE Londoner mit künstlerischen Aspira-
tionen, bemüht sich dem alten Athener nachzuahmen.
Er sucht fortwährend etwas neues in der Kunst, in der Litteratur,
im alltäglichen Leben, mit dem fast unvermeidlichen Resultat,
dass ihm das Bessere, das ihm in den "Weg kommt, unbe-
kannt, unentdeckt, uner-
klärt bleibt, dass es igno-
riert und verachtet wird. In
seinen wildesten Phantasien
bleibt der Engländer doch
immer bourgeois, phili-
strös, Ruskinianer und
schliesslich Morellianer.
Der Künstler und seine
Arbeit können nicht von
einander getrennt werden.
Deshalb müssen diejenigen
entdeckt werden, welche
die ästhetischen Nach-
mittag-Thees den trostlosen
Jour fixe, und den korrek-
ten litterarischen Klub be-
suchen. Daher kommt es
denn nicht selten, dass der
wirkliche Künstler fast sein
ganzes Leben lang unbe-
kannt bleibt, während der
seelenvolle Amateur in allen
Zeitungen der modernen
Richtung eine Rolle spielt,
zum Entzücken der künst-
lerisch gestimmten alten
Jungfer.

Man hat Kritiker er-
funden, deren einziger
Lebenszweck ist, das auf-
blühende Genie auszugra-
ben und das jugendliche
"Wunderkind vor das Kunst-
Publikum zu bringen.
Man hat Monatschriften
gegründet, in denen all-
monatlich ein neuer Künst-
ler geboren werden muss,
während die wirklich
grossen Geister des Landes
unberücksichtigt bleiben.
Kaum eine einzige der
Kunstautoritäten in unsrem

Grossbritannien könnte uns irgend etwas von Menzel erzählen;
von Puvis sieht man nie etwas; Rops ist für sie eine gefährliche
Persönlichkeit, Segantini ein unergründliches Geheimnis,
"Whistler war absolut unmöglich bis Goupil ihn ä la mode
machte. Böcklin soll, wie ich höre, endlich entdeckt werden.

Man muss allerdings dabei
bedenken, dass alle diese
Künstler Ausländer sind,
und in Englischen Gallerien
nichts von ihrer Arbeit
gesehen wird, und das
neueste, was der englische
Kunstjäger unternimmt, ist
— zu reisen. Charles Keene,
der Engländer, musste
seinen Ruf in Deutschland
undFrankreich machen,ehe
er in England anerkannt
wurde. Aber wer kennt
Ford Madox Brown in Eng-
land, mit Ausnahme derer,
die sich lustig über ihn
machen? Wer hat jemals
von Frederick Shields,
Zeichnungen, von A. Boyd
Houghtons Illustrationen,
von "W. H. Hoopers Stichen
gehört, und schliesslich der
Künstler, über dessen Arbeit
ich am liebsten sprechen
möchte, wird als eine My-
the, oder wenigstens als
todt betrachtet, weil er vor-
zieht nach seiner eigenen
Art zu leben und zu
arbeiten. Die moderne
englische Kunst des Illu-
strierens ist das Resultat der
"Wiedergeburt, oder in
"Wirklichkeit der Erfind ung
des Holzschnitts von Be-
wick einerseits, und des
Einflusses der "Werke
Meissonnier's und Menzels
andererseits. Es ist die
gewöhnliche Taktik des
englischen Künstlers sich
als vollständig originell
auszugeben. Ob Rossetti

€ 205 ])
 
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