ZUR MODERNEN DICHTUNG
EIN RÜCKBLICK
VON
CAESAR FLAISCHLEN
WER ETWAS tadeln will, sollte es wenigstens
besser machen können. Aber es ist nun
allmählich fünfzehn Jahre, dass ihr gegen unsere
alten Götter anstürmtet und eine neue Kunst ver-
hiesset, eine Kunst eures Könnens, und wir warten
noch immer auf die Erfüllung eurer Verheissung und
und auf einen Beweis der Berechtigung eures Land-
friedensbruches !"
Dieser Vorwurf des Nicht-besser-machen-könnens
bildet noch immer und trotz allen Widerlegungen
den eigentlichen letzten Grund für all die Wenn
und Aber, mit denen man sich in weiten Kreisen
gegen alles, was moderne Kunst und Dichtung heisst,
mehr oder weniger ablehnend verhält. Und der
Schein von Wahrheit, die halbe Berechtigung, die
man diesem Vorwurf zugestehen muss, ist das Gefähr-
liche dabei, denn das erlösende Wort, das ihm diese
nähme, ist noch nicht gesprochen, die befreiende
That ist noch nicht gethan . . . trotz Allem! und trotz
Vielem, das eine übereifrige Begeisterung zu einer
solchen aufbauschen möchte, und trotz Vielem, das
wiederum weit höher steht, als man gelten lassen will.
Es sind allerdings schon volle fünfzehn Jahre,
dass sich der Bruch mit der Epigonenkunst der Gene-
ration der dreissiger Jahre anbahnte. Von einem
willkürlichen Landfriedensbruch aber darf nicht ge-
sprochen werden. Die ganze Bewegung ist von
ihrer ersten Veranlassung, von ihren anfänglichsten
Quellpunkten an bis auf ihren letzten Gedanken
hinein eine nicht blos natürliche, sondern auch durch-
aus notwendige Folge der gesamten Entwicklung
unseres Jahrhunderts, die auf jedem Gebiet einer mit
allem Veralteten aufräumenden Neugestaltuug und
Neuordnung der Dinge entgegendrängte und ent-
gegendrängt.
Man darf in rein äusserlich politischer Beziehung
nur an die ihr ganz kurze Zeit vorausgehenden
Kriege und Siege von 1866 und 1870/71 erinnern.
Sie hatten eine völlig andere Weltlage geschaffen.
Sie hatten die Fragen und Ideen, die den Lebens-
inhalt der ersten Hälfte des Jahrhunderts ausmachten —
für uns in Deutschland wenigstens — zum Teil gelöst
und beantwortet, zum Teil als zunächst unwesentlich
zurückgelegt. Es handelte sich fortan nicht mehr
um Schaffung des nach aussen hin einheitlichen
Reiches, das man haben wollte, sondern um seine
innere Durchgestaltung, und dabei kamen durchaus
andere Dinge in Betracht.
Aber diese politischen Ereignisse waren es nicht
allein, infolge deren die Welt von heute ein so
anderes Gesicht trägt, als die Welt unserer Väter, als die
Welt von einst, und die den grossen Gegensatz
(T 235 D
EIN RÜCKBLICK
VON
CAESAR FLAISCHLEN
WER ETWAS tadeln will, sollte es wenigstens
besser machen können. Aber es ist nun
allmählich fünfzehn Jahre, dass ihr gegen unsere
alten Götter anstürmtet und eine neue Kunst ver-
hiesset, eine Kunst eures Könnens, und wir warten
noch immer auf die Erfüllung eurer Verheissung und
und auf einen Beweis der Berechtigung eures Land-
friedensbruches !"
Dieser Vorwurf des Nicht-besser-machen-könnens
bildet noch immer und trotz allen Widerlegungen
den eigentlichen letzten Grund für all die Wenn
und Aber, mit denen man sich in weiten Kreisen
gegen alles, was moderne Kunst und Dichtung heisst,
mehr oder weniger ablehnend verhält. Und der
Schein von Wahrheit, die halbe Berechtigung, die
man diesem Vorwurf zugestehen muss, ist das Gefähr-
liche dabei, denn das erlösende Wort, das ihm diese
nähme, ist noch nicht gesprochen, die befreiende
That ist noch nicht gethan . . . trotz Allem! und trotz
Vielem, das eine übereifrige Begeisterung zu einer
solchen aufbauschen möchte, und trotz Vielem, das
wiederum weit höher steht, als man gelten lassen will.
Es sind allerdings schon volle fünfzehn Jahre,
dass sich der Bruch mit der Epigonenkunst der Gene-
ration der dreissiger Jahre anbahnte. Von einem
willkürlichen Landfriedensbruch aber darf nicht ge-
sprochen werden. Die ganze Bewegung ist von
ihrer ersten Veranlassung, von ihren anfänglichsten
Quellpunkten an bis auf ihren letzten Gedanken
hinein eine nicht blos natürliche, sondern auch durch-
aus notwendige Folge der gesamten Entwicklung
unseres Jahrhunderts, die auf jedem Gebiet einer mit
allem Veralteten aufräumenden Neugestaltuug und
Neuordnung der Dinge entgegendrängte und ent-
gegendrängt.
Man darf in rein äusserlich politischer Beziehung
nur an die ihr ganz kurze Zeit vorausgehenden
Kriege und Siege von 1866 und 1870/71 erinnern.
Sie hatten eine völlig andere Weltlage geschaffen.
Sie hatten die Fragen und Ideen, die den Lebens-
inhalt der ersten Hälfte des Jahrhunderts ausmachten —
für uns in Deutschland wenigstens — zum Teil gelöst
und beantwortet, zum Teil als zunächst unwesentlich
zurückgelegt. Es handelte sich fortan nicht mehr
um Schaffung des nach aussen hin einheitlichen
Reiches, das man haben wollte, sondern um seine
innere Durchgestaltung, und dabei kamen durchaus
andere Dinge in Betracht.
Aber diese politischen Ereignisse waren es nicht
allein, infolge deren die Welt von heute ein so
anderes Gesicht trägt, als die Welt unserer Väter, als die
Welt von einst, und die den grossen Gegensatz
(T 235 D