FLUEGELMUEDE
EIN ABSCHNITT AUS DEM LEBEN EINES JEDEN
SIE "WOLLTEN einmal aus dem ewigen Asphalt heraus
und aus all dem Droschkengefahre und Pferdebahn-
geklingel und Menschengeschiebe. Es war ja unerträglich!
und dazu dieser stickige Dampf und Dunst plötzlich . . .
seit drei, vier Tagen, nachdem es fast den ganzen Monat über
gestürmt und geregnet hatte, als ob es noch immer nicht lang
genug "Winter gewesen 1
Ja! und nach dem Frühling wollten sie sehen! wie weit
es sei! In der Stadt, in Berlin, gab es ja keinen Frühling!
Und ob die Schwalben schon da wären?! ob schon was
blühe?!
Und ein bischen gehen wollten sie auch! und lachen und
singen und froh sein! o, so froh sein, wie vor drei Jahren!
Ja, es war ein herrlicher Einfall! Jost war sofort mit
einverstanden. Sie hätten es schon lang einmal thun können!
und ein paar recht behagliche Stunden sollten es werden!
Ohne Trübung, ohne Hetzerei! Still und ruhig! Ein Rekon-
valeszentenbummel! ein Erinnerungsnachmittag! Freilich:
kosten dürfe es auch nicht viel. Einen Kaffee und ein Glas
Bier allenfalls, ausser den zwanzig Pfennigen für die Fahrt.
Mehr jedoch könne sich ein deutscher Dichter am Ende des
Monats nicht leisten an Sonderausgaben.
„So wenig wie am Anfang!" lachte Hannie. Sie habe
auch nur noch fünf Mark . . . Von etwas verdriesslichem
aber dürfe kein "Wort gesprochen werden. "Wer davon an-
fange, müsse zehn Pfennig Strafe zahlen! . . . Ob er denn
Zeit habe?
Mit gutem Gewissen eigentlich nicht, aber ... die Ge-
schichte sei nun so lange nicht fertig geworden, und so
komme es auf einen Tag länger auch nicht mehr an. Abgelehnt
würde sie ja doch wieder. Es sei ja doch wieder nichts für's
Publikum! den ganzen schönen Vormittag habe er daran
herum getrödelt, ohne auch nur einen Satz weiter zu kommen.
Alles zerfahre und zerrinne ... zu einzelnen Gedanken,
anstatt sich zu einem festen Bild zusammenzufügen! und am
gescheidtesten wäre es überhaupt — — wer Geld verdienen
Immer neue Gipfel ragen
über den erklommenen auf —
achl und immer abendtiefer
senkt die Sonne ihren Lauf.
Wolf Walther.
müsse, der solle Handwerker werden. Das sei vernünftiger.
Man würde ja doch nicht nach dem bezahlt, was man leiste,
sondern nur darnach, was man einem andern . . . einbringe,
und ein Künstler, der seine Kunst mit andern Augen ansähe,
als ein Kaufmann seinen Käse, komme sein Lebtag zu nichts!
Er hatte das Alles in kurzen abgebrochenen Sätzen
hervorgestossen, mit halbem Lachen dabei, als ob es ihm
kaum recht Ernst sei, aber Hannie wusste nur zu gut, wie
es hinter diesem Lachen aussah. Es -war das lustige Staub-
aufwirbeln des "Windes vor einem nahenden Sturm.
Sie versuchte ihn mit einem Scherz darüber wegzubringen,
doch es misslang.
„Ach! es ist ein qualvolles Dasein!" begann er nach einer
"Weile stummen Vorsichhinbrütens. „Dieser endlose Kampf,
und immer mit zwei Fronten, nach aussen mit der "Welt,
um sein armseliges bürgerliches Dasein, und nach innen, mit
sich, um . . . um etwas so heraus zu kriegen, wie man's
möchte, wie es einem vorschwebt! Und hat man es endlich
fertig und ist es auch nur halbwegs so, wie es eigentlich sein
müsste, und hat man mit Müh und Not einen Verleger auf-
getrieben, der wenigstens nicht noch etwas bezahlt haben
•will, und ists dann gedruckt und meint man, nun . . . nun
. . . habe man ein bischen Dank für seine Mühe . . . dann
steht man einem Dutzend fest gemauerter Cliquen gegenüber
und . . . wirklich! es war nicht auszuhalten, wenn man sich
trotz allem nicht eine ,endliche Himmelfahrt0 vorlöge. . . .
"Wenn ich's wie andere machen könnte, mich hinsetzen und
meinen Stiefel herunter schreiben, wie es gerade wird, ist's
gut! je flacher, desto besser! . . . wenn ichs mir genug sein
liesse, zu machen, was ich könnte! wenn ich nicht immer
meinte, ich müsse, was ich schreibe, leben, anstatt es blos
zu schreiben! oder wenn ich's nehmen könnte, wie ich's
nehmen müsste: als ein Mittel Geld zu verdienen . . . Ach
was! und . . . nein! die Leute sind es gar nicht wert, wie
man sich für sie vermüht und zernagt! Und dann . . .
vorausgesetzt, dass alles gut geht, dass ein paar neidlose
e. 280 d
EIN ABSCHNITT AUS DEM LEBEN EINES JEDEN
SIE "WOLLTEN einmal aus dem ewigen Asphalt heraus
und aus all dem Droschkengefahre und Pferdebahn-
geklingel und Menschengeschiebe. Es war ja unerträglich!
und dazu dieser stickige Dampf und Dunst plötzlich . . .
seit drei, vier Tagen, nachdem es fast den ganzen Monat über
gestürmt und geregnet hatte, als ob es noch immer nicht lang
genug "Winter gewesen 1
Ja! und nach dem Frühling wollten sie sehen! wie weit
es sei! In der Stadt, in Berlin, gab es ja keinen Frühling!
Und ob die Schwalben schon da wären?! ob schon was
blühe?!
Und ein bischen gehen wollten sie auch! und lachen und
singen und froh sein! o, so froh sein, wie vor drei Jahren!
Ja, es war ein herrlicher Einfall! Jost war sofort mit
einverstanden. Sie hätten es schon lang einmal thun können!
und ein paar recht behagliche Stunden sollten es werden!
Ohne Trübung, ohne Hetzerei! Still und ruhig! Ein Rekon-
valeszentenbummel! ein Erinnerungsnachmittag! Freilich:
kosten dürfe es auch nicht viel. Einen Kaffee und ein Glas
Bier allenfalls, ausser den zwanzig Pfennigen für die Fahrt.
Mehr jedoch könne sich ein deutscher Dichter am Ende des
Monats nicht leisten an Sonderausgaben.
„So wenig wie am Anfang!" lachte Hannie. Sie habe
auch nur noch fünf Mark . . . Von etwas verdriesslichem
aber dürfe kein "Wort gesprochen werden. "Wer davon an-
fange, müsse zehn Pfennig Strafe zahlen! . . . Ob er denn
Zeit habe?
Mit gutem Gewissen eigentlich nicht, aber ... die Ge-
schichte sei nun so lange nicht fertig geworden, und so
komme es auf einen Tag länger auch nicht mehr an. Abgelehnt
würde sie ja doch wieder. Es sei ja doch wieder nichts für's
Publikum! den ganzen schönen Vormittag habe er daran
herum getrödelt, ohne auch nur einen Satz weiter zu kommen.
Alles zerfahre und zerrinne ... zu einzelnen Gedanken,
anstatt sich zu einem festen Bild zusammenzufügen! und am
gescheidtesten wäre es überhaupt — — wer Geld verdienen
Immer neue Gipfel ragen
über den erklommenen auf —
achl und immer abendtiefer
senkt die Sonne ihren Lauf.
Wolf Walther.
müsse, der solle Handwerker werden. Das sei vernünftiger.
Man würde ja doch nicht nach dem bezahlt, was man leiste,
sondern nur darnach, was man einem andern . . . einbringe,
und ein Künstler, der seine Kunst mit andern Augen ansähe,
als ein Kaufmann seinen Käse, komme sein Lebtag zu nichts!
Er hatte das Alles in kurzen abgebrochenen Sätzen
hervorgestossen, mit halbem Lachen dabei, als ob es ihm
kaum recht Ernst sei, aber Hannie wusste nur zu gut, wie
es hinter diesem Lachen aussah. Es -war das lustige Staub-
aufwirbeln des "Windes vor einem nahenden Sturm.
Sie versuchte ihn mit einem Scherz darüber wegzubringen,
doch es misslang.
„Ach! es ist ein qualvolles Dasein!" begann er nach einer
"Weile stummen Vorsichhinbrütens. „Dieser endlose Kampf,
und immer mit zwei Fronten, nach aussen mit der "Welt,
um sein armseliges bürgerliches Dasein, und nach innen, mit
sich, um . . . um etwas so heraus zu kriegen, wie man's
möchte, wie es einem vorschwebt! Und hat man es endlich
fertig und ist es auch nur halbwegs so, wie es eigentlich sein
müsste, und hat man mit Müh und Not einen Verleger auf-
getrieben, der wenigstens nicht noch etwas bezahlt haben
•will, und ists dann gedruckt und meint man, nun . . . nun
. . . habe man ein bischen Dank für seine Mühe . . . dann
steht man einem Dutzend fest gemauerter Cliquen gegenüber
und . . . wirklich! es war nicht auszuhalten, wenn man sich
trotz allem nicht eine ,endliche Himmelfahrt0 vorlöge. . . .
"Wenn ich's wie andere machen könnte, mich hinsetzen und
meinen Stiefel herunter schreiben, wie es gerade wird, ist's
gut! je flacher, desto besser! . . . wenn ichs mir genug sein
liesse, zu machen, was ich könnte! wenn ich nicht immer
meinte, ich müsse, was ich schreibe, leben, anstatt es blos
zu schreiben! oder wenn ich's nehmen könnte, wie ich's
nehmen müsste: als ein Mittel Geld zu verdienen . . . Ach
was! und . . . nein! die Leute sind es gar nicht wert, wie
man sich für sie vermüht und zernagt! Und dann . . .
vorausgesetzt, dass alles gut geht, dass ein paar neidlose
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