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und zögernder. Anstatt frisch und freudig aus dem Vollen
zu schaffen, wie es sich von selber gab und fügte, wollte er
es immer besser und besser machen und sass und grübelte.
Es wurde ja auch besser, das musste sie selber zugeben, aber...
es war furchtbar! . . . Eines Abends ... als er kam . . .
Seit fünf Wochen sitze er und sitze er, ohne auch nur fünf
Seiten zusammen zu bringen. Er sei zu gescheidt, zu klar
geworden, um noch was machen zu können! Bios Dumme
könnten etwas zu Stande bringen, die da nicht sähen, welchen
Unsinn sie auf Papier brächten. Und .. . Dichter überhaupt!
Ein Maler habe wenigstens seine Farben, aber .. . kein Wort
sage, was man mit sagen wolle! Jeder verstehe was anderes
darunter ... und ... es käme ja doch eines Tages, dass er
sich . .. eine Kugel vor den Kopf schösse.

Sie hatte ihn beruhigt . .. doch wenn das wiederkam
und Herr über ihn wurde und wenn auch sie dann vielleicht
nicht das rechte Wort fand?!

Aber es durfte nicht wiederkommen! Wenn sie ihm
wenigstens das ewige Kaffeegetrinke und Rauchen hätten
abgewöhnen können! Das machte ihn auch nur immer reiz-
barer! und dass er nicht ordentlich schlief nachts und immer
müde war! Nein! Er musste sich aufrappeln.

Und er that es auch! die alte Kraft kam doch zurück
und das Herz schlug ihm doch wieder höher, wenn er dann
etwas fertig hatte, und sich sagen durfte, gegeben zu haben,
was er geben konnte. Alle Qual von vorher war vergessen
und er war froh an seinem noch unerreichten Ziel und freute
sich fast, noch zurück zu stehen, zumal wenn andere mit dem
Erfolg, den sie hatten, sich genügten und immer weniger
Ansprüche an sich stellten.

O, das waren selige halbe Stunden dann, die ganze
Wochen wieder aufwogen!

Ja, er musste aushalten! um jeden Preis! Und er sollte
schaffen, was ihn begeisterte, nicht was das Publikum wollte,
und wenn kein Mensch darnach fragte. Wenn er nicht mehr
konnte! ja! aber er konnte mehr. . .. Was das Publikum
wollte ... du lieber Gott! wen die Masse zum Genie ausrief,
das war noch nie ein Goethe, das war immer nur ein Kotzebue!
Höchstens! Und der äussere Erfolg entschied ja doch nur über
heute. Was auch morgen noch gelten wollte und übermorgen,
was bleiben sollte, das stand noch immer jenseits der engen
Grenze seiner Gegenwart und musste warten, bis sie ihm ent-
gegenreifte. ...

Und sie selbst?!

An sich dachte sie bei dem Allem eigentlich gar nicht.

Sie kam schon zurecht. Und wenn auch nicht Alles
immer nach Wunsch ging und wenn es auch viel Geduld
brauchte. Das war eben so, und war nirgends anders.
Man musste nur verstehen, eins ins andere zu rechnen!
Dann glich es sich immer wieder aus. Man durfte nur nicht
meinen, es müsse tagaus tagein immer nur Sonnenschein
geben, oder man habe ein Recht, verdriesslich zu sein, wenn
es einmal regne. Die meisten lebten ja so, aber das war
dumm! Mehr als dumm! denn ändern konnten sie es damit
doch nicht. Und gerade dieses Hin und Her, dieses Auf und
Ab war ja schön und machte ihr Freude.

„Man muss über dem Leben zu stehen suchen, das ist
das ganze Geheimnis; wenn es einem kein Leid soll anthun
können." Ihr Vater hatte Recht; es waren seine letzten Worte,
ehe er starb. „Du zwingst seine Wellen und Wogen doch nicht

unter dein Wort. Darum ringe dich nicht müde mit ihnen,
sondern mach es wie die Möwe, und lass dich tragen und
schaukeln von ihrem Sturm. Und wird's zu arg, vergiss nicht,
dass du Flügel hast!"

Vergiss nicht, dass du Flügel hast!

Wie mit grossen leuchtenden Buchstaben stand es manch-
mal vor ihr!

Vergiss nicht, dass du Flügel hast!

Auch Jost hatte ihr einmal etwas ähnliches gesagt. Und
sie hätte ihn vorhin daran erinnern müssen!

Allerdings! . . . ja! . . . der Vater wäre ja nicht mit ein-
verstanden gewesen, mit Allem nicht. So gern er Jost leiden
mochte. Eins von beiden muss Geld haben, und wenns
auch nicht viel ist. Er habe wenigstens seinen Professorgehalt
gehabt, und ihre Mutter habe auch was mitgebracht. Und
wenn er mit der Bürgschaft für seinen Bruder nicht hängen
geblieben wäre, hätte man es überlegen können. Aber so .. .
nein! Da solle sie lieber allein bleiben! Das trage sich
leichter! ... Er habe ja g a r nichts!

Ein halbes Jahr nach seinem Tod aber hatten sie sich
dann doch verlobt. Heimlich. Es ging ja zunächst nicht
anders. Eines Abends, draussen, von Paulsborn zurück, am
Grunewaldsee. Es hatte am Nachmittag gewittert, aber dann
■war es klar geworden. Ueber dem See und am andern Ufer
drüben lagen feine Nebelschleier. Die Mondsichel stand am
Himmel, weiss und silbern. Es war wunderschön . . . und
sie waren eine Zeitlang ganz still dahingegangen .... als
Jost plötzlich anfing: es sei doch eigentlich Unsinn, dass sie
noch so feierlich thäten! .. . Und das war" es auch! Es kam
ihr längst schon selber so vor . . . und der Vater würde
schliesslich gewiss auch seine Zustimmung gegeben haben.

Er hatte ihn ja selbst ins Haus gebracht. Bald nach-
dem sie von Koblenz nach Berlin übergesiedelt -waren . . .
nach dem Tod ihrer Mutter und nachdem er sich hatte pen-
sionieren lassen. ... Er kritisierte damals noch für ein paar
philologische Zeitschriften und Jost hatte eben eine Abhand-
lung erscheinen lassen „über die Wechselwirkungen zwischen
Kunst und Politik." Der Vater kannte sie bereits, war aber
entgegengesetzter Meinung und ... so waren sie aneinander-
geraten ... bei irgend einer Tafelrunde. Und um sich gründ-
lich ausreden zu können, hatte er Jost zu sich ins Haus ge-
laden, und gerade auf einen Abend, an dem sie eigentlich in
ein Konzert wollte. Sie war recht ärgerlich . .. eines wild-
fremden Menschen wegen dableiben müssen! . . . Obwohl
dann aber jeder den andern für geschlagen erklärte, wurden
sie gute Freunde, und Jost kam öfter und öfter und brachte
dann und wann auch von seinen Sachen etwas mit und las
daraus vor, oder er erzählte aus seinem Leben, unruhig genug
war es ja: wie er sechs bis sieben Jahre lang Buchhändler
gewesen, wie er sich in der Welt herumgetrieben, da und dort,
. . . wie aus dem allem aber nichts vernünftiges herausge-
kommen sei... bis er eines Tages einen Universitätsprofessor
kennen gelernt und dieser ihn aufgefordert, seine Vorlesungen
mit anzuhören, und wie er Freude daran gefunden, und be-
legt habe, was er nur belegen konnte. Alles durcheinander.
Immer nebenher zuerst, bis er den Buchhandel schliesslich an
den Nagel hängte und studieren ging, . . . trotz allen Ge-
schichten, mit denen man es ihm verleiden wollte, und
nach Jahr und Tag seinen Doktor machte. Die Geldfrage
spielte natürlich immer die Hauptrolle dabei. —

C a86 J
 
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