denn wozu brauchte sie sich sonst mit ihm abzugeben, und
das Dienstmädchen war auch nur fortgeschickt worden, da-
mit sie es unauffälliger bei sich haben konnte! Und so weiter.
Dazu hatte sie nur gelacht; die Leute sollten reden, was
sie wollten. Die Frau selber aber hatte eines Tages dann ihre
Mutterrechte geltend gemacht. Auf dem Hof, beim Teppich-
klopfen, und mit der ganzen Deutlichkeit, die einer Berliner
Aufwartefrau bei derartigen Fällen zur Verfügung steht.
Es gab ein furchtbares Gerede ein paar Tage lang.
Aber Hannie hatte es daraufhin satt und kündigte. Sie
wäre in Erinnerung an ihren Vater gerne wohnen geblieben,
doch es war ja langweilig!
Jost erzählte sie erst später davon.
Die Wohnungssucherei dann aber . . . war auch wieder
ein recht vergnügliches Kapitel.
„An einzelne Damen vermietet man bei uns überhaupt
nicht!" und klapp! fiel die Thüre zu.
Zuletzt aber hatte sie doch noch was gefunden. Fast
fünf Treppen allerdings und Sonnenseite. Doch das war ihr
gerade recht. Den ganzen Tag Sonne im Fenster, vom Morgen
bis zum Abend . . . o, sie wollte ja nichts lieber. Es gab ja
nichts schöneres. Zwei Monate im Jahr war es vielleicht ein
wenig lästig, aber die andern konnte man doch eigentlich
nur froh sein, ein bischen Sonne zu haben. Schatten gab es
wahrlich doch genug auf der Welt! ...
Das heisst —
Es wäre wirklich Unrecht gewesen, wenn sie hätte klagen
wollen. Sie hatte ja, was man so haben kann. Sie hatte Jost,
und . . . manchmal war die Schul'lauferei ja nicht gerade
angenehm, aber was hätte sie den lieben langen Tag sonst
alles anfangen sollen?!
Sie musste zu thün haben, wenn ihr wohl sein sollte,
und etwas, das ein bischen Anstrengung kostete. Blosses
Staubabwischen und Im-Hausherumkramen oder Im-Tier-
garten spazieren gehen war keine Arbeit. Für sie wenigstens.
Wer sein Lebensglück darin fand, mochte es darin finden.
Sie nicht. Sie musste ein bischen Umtrieb haben, ein bischen
zu denken! Sie verlangte mehr von sich und glaubte grösseren
Anforderungen genügen zu können und schwereren Aufgaben
gewachsen zu sein, Aufgaben, die . . . die weiter trugen.
Der Mensch kann ja so viel, wenn er will und er nicht immer
Rücksicht nimmt auf seine Freude am . . . Im-Sopha-sitzen!
Jost — sollte es zu etwas bringen, ja! ... in ihrem Sinn,
und wenn es noch so viel Opfer koste! Das heisst, von
Opfer konnte überhaupt keine Rede sein! Unsinn! Ihre
Mutter hatte auch erst mit fünfunddreissig geheiratet und
bis dahin ... du lieber Gott! Es war ja wahr: von seinen
Kindern hatte man dann wenig mehr! Sie hatte es oft geklagt!
weil man eben zu alt ist, um noch mit ihnen leben zu können,
wenn sie so weit sind! aber .. .:
Es war nie etwas so gefährlich, als es aussah! und oben-
drein wurde es ja wieder Frühling!
Alles keimte und trieb und knospete und wollte blühn
und leben und froh sein und drängte ins Weite. Ein paar
Wochen und die Schwalben zwitscherten wieder ums Haus
und die Tage wurden wieder lang und... wie sie sich freute!
Der Frühling siegte eben doch immer wieder, es mochte
wintern, so lang es wollte.
Man musste nur Glauben an ihn haben und mit ihm
siegen wollen. Man musste nur eins ins andere rechnen und
über den Augenblick hinauskommen. Er mochte noch so
trübselig sein, es war doch nur ein Augenblick, eine Stunde
und die nächste schon zeigte wieder ein ganz anderes Gesicht.
Es ging Alles vorbei. Auch das Schöne allerdings, auch der
Frühling draussen, der eben erst anfing. Ein halb Jahr und
es wurde wieder Herbst und die Rosen welkten und die Sonne
verblasste und trüber Oktoberregen rieselte über das Land
und der Winter kam und mit dem Winter . . . Aber nach
dem Winter auch ein neuer Frühling wieder, bis auch der
wieder verklang. Nur der Mensch lebte hinaus über dieses
Kommen und Gehen, und stand fest inmitten von heute
und morgen, von Lust und Last, von Regen und Sonnen-
schein. Er durfte sich nur nicht mitreissen lassen. Er musste
nur drüber stehen, frei und ruhig, in sich selber, und es
als Spiel nehmen, zu seinen Füssen. Er musste es nur wie
die Möwe machen, und sich tragen und schaukeln lassen
vom Sturm des Lebens! und ... wenn es zu arg wurde, hatte
er ja Flügel!
Jost war eine Zeitlang durch die Strassen gegangen, bis
ihm plötzlich der Gedanke kam, sich bei seinem Verleger nach
dem Schicksal einer kleinen Novelle zu erkundigen, die er
ihm vor einigere Zeit gebracht hatte.
Viel Hoffnung hatte er nicht; aber der Mann konnte
das Manuskript ja auch einmal in einer ,idealc gestimmten
Stunde gelesen haben„ und es wäre doch einmal ein Licht-
blick gewesen.
Er liess sich melden und Herr von Stägemann liess bitten.
Er durchschritt zwei, drei Geschäftsräume mit grossen
Arbeitspulten, an denen Stägemanns Doktoren — er hatte
nur solche als Angestellte — das Wohl und Wehe der
deutschen Dichter erledigten, und trat in ein behaglich aus-
gestattetes, kleines Zimmer, in dem ihm der Verleger mit
freundlichem Gruss entgegen kam.
Was er mache und wie es gehe?
Wie immer, einmal gerade, einmal krumm!
Es war ein etwa 40 jähriger Herr mit kurzgeschorenem,
grauweissem Haar und sorgfältig gepflegtem Schnurrbart.
Gross und schlank, in schwarzer Sammetjuppe.
„Erst das Reale, dann aber auch das ideale!" war sein
Grundsatz und dementsprechend schied er auch die Werke
seines Verlags in diese zwei Richtungen.
„Gut, dass Sie kommen!" begann er mit jovialem Humor,
„denken Sie, zwei „tote Menschen" sind gestern verlangt
worden ! ... von München!"
„Donnerwetter!" lachte Jost. „Das ist ja fabelhaft. Aber
sehen Sie, ich sagte immer: es wird schon kommen! Nur
Geduld!"
„Ja, ja! Geduld braucht's trotzdem noch gerade genug!"
bestätigte Stägemann mit gleichem Lachen. „Um die beiden
anderen Sachen kümmert sich kein Mensch mehr!"
„Wird auch noch kommen! nur abwarten!" erwiderte
Jost auf seinen Ton eingehend und sich eine Zigarre an-
zündend, die Stägemann ihm angeboten. „Aber — ob er
seine „Lise Helmbach" gelesen habe?"
Ja! und sie habe ihm ausserordentlich gefallen. Es sei
eine wunderbar feine Studie, und in jeder Beziehung ein kleines
Meisterwerk. Ohne Phrase!
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das Dienstmädchen war auch nur fortgeschickt worden, da-
mit sie es unauffälliger bei sich haben konnte! Und so weiter.
Dazu hatte sie nur gelacht; die Leute sollten reden, was
sie wollten. Die Frau selber aber hatte eines Tages dann ihre
Mutterrechte geltend gemacht. Auf dem Hof, beim Teppich-
klopfen, und mit der ganzen Deutlichkeit, die einer Berliner
Aufwartefrau bei derartigen Fällen zur Verfügung steht.
Es gab ein furchtbares Gerede ein paar Tage lang.
Aber Hannie hatte es daraufhin satt und kündigte. Sie
wäre in Erinnerung an ihren Vater gerne wohnen geblieben,
doch es war ja langweilig!
Jost erzählte sie erst später davon.
Die Wohnungssucherei dann aber . . . war auch wieder
ein recht vergnügliches Kapitel.
„An einzelne Damen vermietet man bei uns überhaupt
nicht!" und klapp! fiel die Thüre zu.
Zuletzt aber hatte sie doch noch was gefunden. Fast
fünf Treppen allerdings und Sonnenseite. Doch das war ihr
gerade recht. Den ganzen Tag Sonne im Fenster, vom Morgen
bis zum Abend . . . o, sie wollte ja nichts lieber. Es gab ja
nichts schöneres. Zwei Monate im Jahr war es vielleicht ein
wenig lästig, aber die andern konnte man doch eigentlich
nur froh sein, ein bischen Sonne zu haben. Schatten gab es
wahrlich doch genug auf der Welt! ...
Das heisst —
Es wäre wirklich Unrecht gewesen, wenn sie hätte klagen
wollen. Sie hatte ja, was man so haben kann. Sie hatte Jost,
und . . . manchmal war die Schul'lauferei ja nicht gerade
angenehm, aber was hätte sie den lieben langen Tag sonst
alles anfangen sollen?!
Sie musste zu thün haben, wenn ihr wohl sein sollte,
und etwas, das ein bischen Anstrengung kostete. Blosses
Staubabwischen und Im-Hausherumkramen oder Im-Tier-
garten spazieren gehen war keine Arbeit. Für sie wenigstens.
Wer sein Lebensglück darin fand, mochte es darin finden.
Sie nicht. Sie musste ein bischen Umtrieb haben, ein bischen
zu denken! Sie verlangte mehr von sich und glaubte grösseren
Anforderungen genügen zu können und schwereren Aufgaben
gewachsen zu sein, Aufgaben, die . . . die weiter trugen.
Der Mensch kann ja so viel, wenn er will und er nicht immer
Rücksicht nimmt auf seine Freude am . . . Im-Sopha-sitzen!
Jost — sollte es zu etwas bringen, ja! ... in ihrem Sinn,
und wenn es noch so viel Opfer koste! Das heisst, von
Opfer konnte überhaupt keine Rede sein! Unsinn! Ihre
Mutter hatte auch erst mit fünfunddreissig geheiratet und
bis dahin ... du lieber Gott! Es war ja wahr: von seinen
Kindern hatte man dann wenig mehr! Sie hatte es oft geklagt!
weil man eben zu alt ist, um noch mit ihnen leben zu können,
wenn sie so weit sind! aber .. .:
Es war nie etwas so gefährlich, als es aussah! und oben-
drein wurde es ja wieder Frühling!
Alles keimte und trieb und knospete und wollte blühn
und leben und froh sein und drängte ins Weite. Ein paar
Wochen und die Schwalben zwitscherten wieder ums Haus
und die Tage wurden wieder lang und... wie sie sich freute!
Der Frühling siegte eben doch immer wieder, es mochte
wintern, so lang es wollte.
Man musste nur Glauben an ihn haben und mit ihm
siegen wollen. Man musste nur eins ins andere rechnen und
über den Augenblick hinauskommen. Er mochte noch so
trübselig sein, es war doch nur ein Augenblick, eine Stunde
und die nächste schon zeigte wieder ein ganz anderes Gesicht.
Es ging Alles vorbei. Auch das Schöne allerdings, auch der
Frühling draussen, der eben erst anfing. Ein halb Jahr und
es wurde wieder Herbst und die Rosen welkten und die Sonne
verblasste und trüber Oktoberregen rieselte über das Land
und der Winter kam und mit dem Winter . . . Aber nach
dem Winter auch ein neuer Frühling wieder, bis auch der
wieder verklang. Nur der Mensch lebte hinaus über dieses
Kommen und Gehen, und stand fest inmitten von heute
und morgen, von Lust und Last, von Regen und Sonnen-
schein. Er durfte sich nur nicht mitreissen lassen. Er musste
nur drüber stehen, frei und ruhig, in sich selber, und es
als Spiel nehmen, zu seinen Füssen. Er musste es nur wie
die Möwe machen, und sich tragen und schaukeln lassen
vom Sturm des Lebens! und ... wenn es zu arg wurde, hatte
er ja Flügel!
Jost war eine Zeitlang durch die Strassen gegangen, bis
ihm plötzlich der Gedanke kam, sich bei seinem Verleger nach
dem Schicksal einer kleinen Novelle zu erkundigen, die er
ihm vor einigere Zeit gebracht hatte.
Viel Hoffnung hatte er nicht; aber der Mann konnte
das Manuskript ja auch einmal in einer ,idealc gestimmten
Stunde gelesen haben„ und es wäre doch einmal ein Licht-
blick gewesen.
Er liess sich melden und Herr von Stägemann liess bitten.
Er durchschritt zwei, drei Geschäftsräume mit grossen
Arbeitspulten, an denen Stägemanns Doktoren — er hatte
nur solche als Angestellte — das Wohl und Wehe der
deutschen Dichter erledigten, und trat in ein behaglich aus-
gestattetes, kleines Zimmer, in dem ihm der Verleger mit
freundlichem Gruss entgegen kam.
Was er mache und wie es gehe?
Wie immer, einmal gerade, einmal krumm!
Es war ein etwa 40 jähriger Herr mit kurzgeschorenem,
grauweissem Haar und sorgfältig gepflegtem Schnurrbart.
Gross und schlank, in schwarzer Sammetjuppe.
„Erst das Reale, dann aber auch das ideale!" war sein
Grundsatz und dementsprechend schied er auch die Werke
seines Verlags in diese zwei Richtungen.
„Gut, dass Sie kommen!" begann er mit jovialem Humor,
„denken Sie, zwei „tote Menschen" sind gestern verlangt
worden ! ... von München!"
„Donnerwetter!" lachte Jost. „Das ist ja fabelhaft. Aber
sehen Sie, ich sagte immer: es wird schon kommen! Nur
Geduld!"
„Ja, ja! Geduld braucht's trotzdem noch gerade genug!"
bestätigte Stägemann mit gleichem Lachen. „Um die beiden
anderen Sachen kümmert sich kein Mensch mehr!"
„Wird auch noch kommen! nur abwarten!" erwiderte
Jost auf seinen Ton eingehend und sich eine Zigarre an-
zündend, die Stägemann ihm angeboten. „Aber — ob er
seine „Lise Helmbach" gelesen habe?"
Ja! und sie habe ihm ausserordentlich gefallen. Es sei
eine wunderbar feine Studie, und in jeder Beziehung ein kleines
Meisterwerk. Ohne Phrase!
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