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neue Ziele!? und wollten sie dann gerade die, die er für die
erlösenden hielt?! "Waren sie am Ende nicht zufrieden und
glücklich — so, wie sie es hatten?!

Nein! das waren sie allerdings nicht! Zufrieden waren
sie nicht! und glücklich waren sie noch weniger! Nicht ein
einziger vielleicht! Es war nicht die Hast der Freude, was
sie da unten so ruhelos durch die Strassen trieb; es war die
Hast der Sorge, die Hast der Furcht vor dem kommenden
Tag! Und all der Prunk, die Pracht, die Eleganz der Wagen
und Toiletten, die sich überall zur Schau trug — es war nur
Lüge und Betrug, über die Oede, über die Verzweiflung hin-
wegzutäuschen, die sich darunter barg!

Alles waren es müde, abgehetzte, seelisch bankerotte
Menschen, ohne Glauben und Liebe! Menschen, die . . .
ja, weiss der Himmel, es gäbe ein anderes Bild, wenn es
einer einmal zeichnete, der durch all den Flitter und Firlefanz
hindurch ihnen, ins Herz sähe. O, nicht ein einziger wäre
wohl, der dem andern schuldlos und ehrlich ins Auge blicken
könnte! Nicht ein einziger wäre -wohl, der da nicht irgend
einen Schaden hätte, der da nicht hinkte oder buckelig wäre!
Aber er! ?

"War er etwa weniger müde ? "War er etwa weniger krank ?
Hatte er etwa noch mehr Liebe und Glauben in der Brust?
Allerdings! trotz allem und allem! Noch wenigstens!
Aber .. .

Gab ihm dies ein Recht, diesen Hunderten und Tausen-
den gegenüber!

Und wenn er es sich nahm?

Und wenn er selbst die Kraft hatte, ihnen einen Augen-
blick lang Halt zu gebieten — fand er dann auch das be-
freiende "Wort? und wenn er sein ganzes Leben in ihm zu-
sammendrängte ?!

Was sie wollten, war sorgloseres Brod und sorglosere
Freude! und was er geben konnte, war . . . eine Dichtung,
ein Roman, ein Theaterstück . . . Stein, statt Brod! Was
ist einem. Faust, was alle sixtinischen Madonnen, was alle
Kunst der Welt, wenn man hungrig ist und nichts zu
essen hat!?

Und wenn er sein Bestes gab, wem nützte es ? wer hatte
was davon? Wer etwas fand, der ihnen ein paar Sorgen ab-
nahm, die Arbeit ein bischen erleichterte, oder etwas billiger
machte, that ein weit grösseres Werk, hatte weit mehr An-
spruch, gehört zu -werden!

Und wenn ihm selbst das Höchste gelang, ... es war
doch nur .. . Stein!

Er wollte sie freier machen, sich selbst gegenüber, dem
Leben überlegener. Er wollte ihnen aus dem Zwiespalt her-
aushelfen, der durch ihr ganzes Dasein klaffte, der ihnen die
Ruhestunden vergällte, die sie sich gönnen durften, aus dem
Zwiespalt zwischen dem, wozu der Kampf, den sie zu
kämpfen hatten, mit mitleidsloser Unerbittlichkeit sie zwang,
und zwischen dem,-wonach ihr Herz verlangte! zwischen dem
Leben, das sie lebten und leben mussten, und dem, das sie...
träumten! Sie sorgten sich ab und zermarterten sich das Herz
mit Vorwürfen und Selbstanklagen und ob Dingen, über die
die Zeit längst hinaus war. Sie quälten sich müde, die Ideale
ihrer Väter zu leben, ohne noch Glauben daran zu haben,
anstatt die Ideale ihres Lebens zu suchen! sie quälten sich
müde, stürzen wollende Tempel und Altäre zu halten, anstatt
fallen zu lassen, was fallen will und fallen muss und weiter

zu gehen, rücksichtslos, und zu erfüllen, wozu sie berufen
sind von der Geschichte!

Aber ... wenn . .. dann einer gekommen wäre: diese
neue Welt für sie zu entdecken, hätten sie an ihn geglaubt ?!
Hätten sie ihn nicht ganz ebenso einen Narren genannt, wie
sie ... Kolumbus, wie sie Jeden einen Narren nannten, für
den die Welt da noch nicht aufhörte, wo sie für ihren
Horizont zu Ende war?! Und dann . . . wäre es ihm anders
gegangen, nachdem er sich mit Müh und Not ein paar
Schiffe zusammen gebettelt . . . draussen in wegloser Oede,
im Sturm des Ozeans, einsam und wehrlos . .. verloren
zwischen zwei "Welten ... die alte, hinter ihm, hinabge-
sunken in die Nebel der Wasser, die neue, vor ihm, in ver-
schleierter Weite?! Und um ihn: Zweifel, Unglaube, Auf-
ruhr und Meuterei, und keine "Waffen dagegen, als sein Wort,
als die Begeisterung, die ihm die Brust durchglühte!

Und war es nicht ebenso heute? trieb nicht die ganze
Zeit so dahin, in wegloser Oede . . . und verloren . .. zwi-
schen zwei Welten, . . . die alte, hinabgesunken in brauende
Nebel, die neue . . . ungefunden noch in blauverdämmerter
Ferne?! War es nicht ebenso nur die Begeisterung einiger
Weniger, die da festhielt an ihrem Kolumbusglauben, trotz
allem Zweifel, trotz allem Hohn, trotz allem Aufruhr: es
muss Land kommen!

Aber . . . würden sie siegen über all die Meuterei, die sie
zur Umkehr zwingen möchte ?!

Und er? würde er siegen?

Er konnte auch nichts beweisen! Er konnte auch nichts
anderes sagen, als: es muss einmal kommen! Glaubt an mich
und habt Geduld! Er hatte auch keine andere Gewissheit,
als die seiner Begeisterung!

Was die Menschen da unten aber -wollten, war nicht Be-
geisterung für eine unentdeckte Welt, -waren: ... kampflosere
Lebensbedingungen, war: Geld und Gold!

Und was vermochte hiezu die Kunst?! Du lieber Gott!
Hatte sie denn überhaupt etwas zu thun mit dem Jammer
der Zeit? Hatte sie nicht ihre eigenen Ziele? ihre eigenen
Pflichten? Und that sie nicht genug, wenn sie diesen genügte?
Hatte der Künstler das Recht: Partei zu ergreifen? Hatte er
nicht alles geleistet, wenn er etwas schuf, ob dem man sich nur
freuen und seine Not vergessen konnte auf ein paar Stunden?!

Nein! er musste Grösseres können! Er musste Mitkämpfer
sein, und noch mehr: er musste seinem Volk ins Herz horchen
können und dessen unverstandener Sehnsucht "Worte geben!
er musste die Ideale seiner Zeit zu finden wissen und zu klären,
wofür sie litt und stritt! Er musste ein Sieber sein auf ihren
Goldgehalt hin! Er musste Seher und Säer sein! Ein ...
Winkelried der kommenden Freiheit!

Ja! — Aber, aber:

. . . für Menschen, denen, was sie im Cirkus sahen, weit
wichtiger war! denen ein Akrobatenkunststück, eine Clown-
scene mehr sagte, als das Vollendetste, das einer zu schaffen
vermochte! War es da in der That nicht vernünftiger, es zu
machen, wie es hunderte machten: ihnen ein paar "Witze
vorzumimen und mondscheinschöne, spannende Geschichten
zu erzählen, die gekauft wurden, anstatt — und zu sagen:
Wer den grössten Erfolg hat, ist der grösste Dichter!
War es nicht auch so?!

Standen sie nicht alle gross und glänzend da, in halb
klassischer Herrlichkeit beinahe, mit ihren Reim- und Roman-

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