Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
■:l

„Natürlich!" lachte Jost. „Immer noch . . . Idealist
und . .. Dichter . .. und Hungerleider!"

„War ich also doch der Schlauere! Na ja! ... Es war
freilich ein bischen schmerzlich zuerst, so von heut auf
morgen seine Malerei bleiben zu lassen und Handwerker zu
■werden — der Künstler hält ja den Photographen für einen
Handwerker — aber, weisst Du: so gegen zweitausend Bilder
sollen sie am Lehrter Bahnhof wieder zurückgeschickt haben
und da freut man sich denn doch, über dergleichen hinaus
zu sein!"

„Ja, ja, man hat so seine kleinen stillen Freuden dann
und wann!" bemerkte Jost mit leiser Ironie.

Es war einer," der vielleicht ebenso viel einst gewollt
hatte, als er, und der auch was gekonnt hatte. Sie waren
öfters zusammengekommen, früher, und hatten sich ihren
Jammer geklagt und sich gegenseitig Mut zugesprochen, nun
aber längst aus den Augen verloren. .. Aus Gerlachs ganzer
Art und Weise jedoch, wie er ging und wie er stand, wie er
die Hand in der Hosentasche hatte, wie er seinen grossen
Schlapphut trug, aus allem erkannte man fast auf den ersten
Blick schon, dass er ... durch war und dass es ihm gut ging.
Ein bischen Künstler freilich war überall noch hängen geblieben.

„Es ist ja eigentlich nur Jugendeselei, wenn man's von
drüben anguckt!" unterbrach er Josts stille Beobachtungen.

„Na, na!"

„Aber was denn sonst? Ich hab's ja auch lang genug
nicht glauben wollen, und sag's nun selber. Was gescheidtes
wäre doch nicht herausgekommen. Und bin gottfroh !cc

„Wer weiss, wenn Du noch ein bischen Geduld gehabt ?"

„Aber wozu denn ?! Es können doch nicht alle . .. Nein,
alter Freund! Ich versichere Dich, mir ist zehnmal wohler,
seit ich den Mut gehabt, den Kram aufzustecken, und mich
damit begnüge, zu machen, was Geld einbringt und wobei
ich meinen Spass habe, anstatt mich abzurackern und mir
die Seele aus dem Leib zu schinden! Es giebt nichts herz- und
mitleidsloseres, als Kunst!"

„Nun ja, man .. . man .. . man kann auch so sagen!"

„Du weisst ja garnicht, wie das ist, blos zu thun haben,
was man so kann und ohne lange Quälerei. Ich sage Dir,
man wird ein ganz anderer Mensch dabei ... gesund und
vergnügt und harmlos, und hat auch was von seinem Leben."

„Kann sein, kann sein! Vorderhand allerdings .. . Wie
lange warst Du denn in Nizza?"

„Na, so fünf- bis sechshundert Mark lang! ... Lass dich
doch einmal sehen. Meine Frau würde sich nur freuen .. ."

„Gewiss, recht gern! warum nicht! nur, Du weisst ja...
ich . . . ich . . . und . . . ich bin auch ein bischen herunter
augenblicklich!"

„Das sieht man Dir an, weiss der Henker! Lass doch
den Plunder und mach's, wie ich. Es ist wirklich Blech, sein
schönes Leben so für nichts und wieder nichts zu verdarben
und . . . Prometheus und .. . Ikarus spielen zu wollen und ...
Flügel hat man doch einmal keine und eine Flugmaschine
ist auch noch nicht erfunden . .. also halt ich's für einfacher
man lässt die Luftfliegerei und bleibt auf seiner Erde unten
und sucht sich's da irgendwo gemütlich zu machen. Ist auch
ganz schön. Wirst mir schon noch einmal Recht geben!"

„Vielleicht, ja!"

„Nicht bloss vielleicht! nein! ... Es giebt so .. . ein ge-
wisses Alter nämlich, ... in dem das Alles ganz von selber

kommt; so um das dreissigste herum! wo der Mensch ganz
von selber anfängt vernünftig zu werden und sich auf seine
Hinterfüsse stellt: erst ich und dann die Kunst! und wo
man plötzlich auch den Wert eines guten Beefsteacks zu
schätzen beginnt. Ja, ja! Das Ideal wird einem Wurst und
die Wurst . . .Ideal! Entschuldige diesen Kalauer, doch es
ist so. Es dreht sich einfach um!"

„Deine Photographiererei scheint dir in der That vor-
züglich zu bekommen, auch geistig!" entgegnete Jost mit
herzlichem Lachen. „Aber ... ein halb Jahr hab ich ja dann
noch Zeit!"

„Steig mit ein! komm! da fährt gerade so ein Ding! Ich
muss nach Karlshorst nämlich. Friedrichstrassen-Bahnhof."

-Er hielt eine vorüberratternde Droschke an. Doch Jost
hatte keine Lust mitzufahren.

„Dann besuch uns wenigstens einmal. Friedenau, gleich
beim Bahnhof, ein bischen rechts. Siehst es von weitem.
Und guck Dir meine Photographien an. Gibt ein grosses
Album zum Herbst. Die Umgebung Berlins. Sämtliche Bier-
dörfer . . . von vornen und hinten."

„Gut! Nächste Woche!

Er blickte dem Davonfahrenden einen Augenblick nach
und ging dann langsam weiter.

Der Brief von Konsul Erdmannshöfer fiel ihm plötzlich
ein. Er holte ihn heraus und überlas ihn noch einmal.
Hannie hatte ihm ja abgeredet, aber . ., er dachte ja fast
selber schon wie Gerlach: wozu denn zur Sonne wollen und
abzustürzen, anstatt sich's auf Erden behaglich zu machen.
Flügel hat man ja doch keine!

•»

Ein paar Stunden später trafen sie sich, Jost und Hannie,
und nahmen die Dampfbahn nach Haiensee.

Sie hatte einen neuen Hut auf und einen neuen Umhang
um. Alles selber gemacht und gerade fertig geworden. Jost
zupfte ihr lachend noch einen Heftfaden aus: regnen durfte
es also nicht!

Die ganze Verdriesslichkeit und Aufregung vom Vor-
mittag war vorüber. Jost hatte ihr ganz kurz noch sein Zu-
sammentreffen mit Gerlach erzählt. Doch Hannie hatte
weiter nichts darauf gesagt, als: wer eben nicht mehr an sich
glaube, thue freilich besser, sich nach einem Handwerk um-
zusehen ! Und noch einmal von solchen Dingen anzufangen,
hätte zehn Pfennig gekostet!

Sie lachten und scherzten und neckten sich wie zwei
Kinder. Es war ja zu schön. Sie hätten es nur schon lang
thun sollen!

Und wie lustig schnell das dahinsauste. Man musste ordent-
lich den Hut festhalten. Und wie fröhlich alles war! Ueberall
standen die Fenster offen und wurde geklopft und gebürstet
und gescheuert, und in den Vorgärten und auf den Baikonen
wurden die Blumen zurechtgebunden und gegossen und die
Rouleaux in Ordnung gebracht. Der Frühling sollte es sauber
finden, blitz und blank, und sollte sehen, dass man sich auf
ihn gefreut habe. Gewartet hatte man ja lang genug. In
keinem Eckchen sollte er noch was vom Winterstaub auf-
spüren können.

Und auf den Strassen ebenso. Die Menschen alle in
neuen hellen Kleidern, geputzt und gebändert, ein paar Veil-

<r 292 d
 
Annotationen