gefärbter Fäden oder Garne, sondern durch sinn-
gemässe Abänderung der Stichrichtung, woraus
durch Reflexwirkung die gewollten Lichtstufen
entspringen. Wir können diese verfeinerte Tech-
nik, welche Obrist wieder errungen hat, sehr deut-
lich an einem in Glanzgarn gearbeiteten dreiteiligen
Windschirme beobachten, der uns überdies eröffnet,
wie gebieterisch der Zweck des zu zierenden
Gegenstandes in das Phantasieleben des Künstlers
hineintritt. Dieser Windschirm ist für die freie
Luft einer Veranda berechnet, er leuchtet in
scharfen, frischen Farben, er fängt die Sonnen-
strahlen in mächtigen Blumenkelchen und weiten
Blätterschüsseln auf, wo sie sich, in der Fülle baden
können — die goldenen Lichter, die wir zu
Genossen unseres morgendlichen Behagens wün-
schen. — Und zu einem Dritten diene uns noch
das Beispiel dieses Windschirmes: er beweise uns
seines Schöpfers Unabhängigkeit von den Japanern.
Wie diese entnimmt auch Obrist seine Motive
— hier Eisenhut — der uns alltäglich umgebenden
Natur. Während nun der japanische Künstler sich
mit grösstem Geschicke bemüht, den Blütenzweig,.
das Blatt, den Vogel, den Frosch so naturgetreu
wiederzugeben, wie er es nur irgend vermag, und
sodann sein mit äusserster Verfeinerung und Deli-
katesse durchgeführtes Werk so keck, so ein-
schmeichelnd, so geschmackvoll an der Fläche eines
Gebrauchsgegenstandes anheftet, dass diese organisch
ausgefüllt erscheint, obwohl sie es gar nicht ist:
hat der Natureindruck in der Seele unseres Künst-
lers jene Wandlung, jene ästhetische Transsub-
stantiation durchgemacht, die wir zuvor schematisch
angedeutet haben, die uns aber ihrem Wesen nach
nicht minder unergründlich ist als jenes heilige
Mysterium, mit dessen Namen wir sie zu nennen
uns erkühnten. Ferner füllen seine Formen die
Fläche in der That organisch aus: denn sie sind
für dieselbe ersonnen, durch sie bedingt; sie sind
rythmischen und konstruktiven Gesetzen unter-
worfen. — Die Anordnung der Farbenflecke, der
Verschlingungen, Spiralen, Brennpunkte erfolgt des-
gleichen aus der Phantasie in unwillkürlicher Rück-
sicht auf den Zweck. Also auch der Geschmack
des Künstlers geht organisch aus seinem Gesammt-
schaffen hervor, indessen er den Japaner nur leitet
beim Anbringen dessen, was er der Erscheinungs-
welt mit Keckheit raubte oder mit List und Bedacht-
samkeit stahl. Wir erkennen den elementaren
Unterschied zwischen unserem und dem japanischen
Künstler. — Dass er endlich den Engländern und
Franzosen nicht unterthan ist, erhellt aus der
Genesis eines jeden seiner Werke, in der, wie wir
am Eingange dieses Abschnittes schon sagten, nur
drei Kräfte wirksam sind: die Natur, die Konstruk-
tion des Gegenstandes und die Erfindung des
Künstlers.
Indem wir, von der ästhetischen Selbständigkeit
und dem verfeinerten Geschmacke des Künstlers
nunmehr überzeugt, weiter untersuchten, ob er
auch in der Technik nicht hinter den Stickereien
der anderen kunstgewerblich schaffenden Nationen
zurückbliebe, wurde uns erst recht eine seltene
Ueberraschung zuteil. Die grössten Schwierigkeiten
waren hier nicht allein auf das anmutigste, schein-
bar müheloseste überwunden, es waren sogar wert-
volle Verfahren angewendet, die vor Obrist nie-
mand gekannt hatte. Zahlreiche Ornamente waren
nicht nur blos flach gestickt oder nur auf unter-
legte Füllung gearbeitet, sondern plastisch modelliert
und nach dem Thonrelief auf dem Grundstoffe
mit Baumwolle nachmodelliert und sodann kunst-
voll überstickt. Sehr oft war von den Regeln des
„guten" akademischen Stickens abgewichen: den
neuen Gedanken des Erfinders folgten neue tech-
nische Mittel. Oft ist kein Stich dem anderen
gleich; ein unentwirrbares Geflimmer von ver-
schiedenartigen Stichen flutet auf den ornamentalen
Formen dahin, wie von einem Pulsschlage belebt,
wie die Zellen eines lebenden Körpers von orga-
nischer Kraft und Rhythmik bewegt. Und trotzdem
ruhte das Ganze ruhig und geschlossen in seiner
Einheit auf dem Grunde, festgehalten durch kolo-
ristische und zeichnerische Brennpunkte; ruhiger
und geschlossener als die in harten, regelmässigen
Stichen gedankenlos ausgeführten Nachahmungen
schon vorhandener Stilformen. Diese Methode,
ich nenne sie „organische Stickerei", hat es dem
Künstler allein ermöglicht, einen seiner bedeutend-
sten allgemein-künstlerischen Gedanken durchzu-
führen. Hermann Obrist entnimmt der Natur nicht
allein formale und koloristische Motive, sondern
gründet auch ornamentale Erfindungen auf die
grossen organischen Prinzipien, wie sie sich in
einem lebenden Wesen, einer Pflanze, einem Tier-
körper zu erkennen geben.
Wenn wir uns mit kontemplativer Innigkeit in
die äussere Erscheinung einer Pflanze, etwa einer
Eiche, versenken, so erschliessen wir bald aus deren
Mannigfaltigkeit einen ganz bestimmten, alle Einzel-
heiten beherrschenden und tragenden Grundzug,
wie wir etwa bei einer symphonischen Aufführung
die Grundmelodie, dasMelos, das alles „Bewegende",
das „Motiv" heraushören. — Nicht etwa ein Schema,
C 3a° 3)
gemässe Abänderung der Stichrichtung, woraus
durch Reflexwirkung die gewollten Lichtstufen
entspringen. Wir können diese verfeinerte Tech-
nik, welche Obrist wieder errungen hat, sehr deut-
lich an einem in Glanzgarn gearbeiteten dreiteiligen
Windschirme beobachten, der uns überdies eröffnet,
wie gebieterisch der Zweck des zu zierenden
Gegenstandes in das Phantasieleben des Künstlers
hineintritt. Dieser Windschirm ist für die freie
Luft einer Veranda berechnet, er leuchtet in
scharfen, frischen Farben, er fängt die Sonnen-
strahlen in mächtigen Blumenkelchen und weiten
Blätterschüsseln auf, wo sie sich, in der Fülle baden
können — die goldenen Lichter, die wir zu
Genossen unseres morgendlichen Behagens wün-
schen. — Und zu einem Dritten diene uns noch
das Beispiel dieses Windschirmes: er beweise uns
seines Schöpfers Unabhängigkeit von den Japanern.
Wie diese entnimmt auch Obrist seine Motive
— hier Eisenhut — der uns alltäglich umgebenden
Natur. Während nun der japanische Künstler sich
mit grösstem Geschicke bemüht, den Blütenzweig,.
das Blatt, den Vogel, den Frosch so naturgetreu
wiederzugeben, wie er es nur irgend vermag, und
sodann sein mit äusserster Verfeinerung und Deli-
katesse durchgeführtes Werk so keck, so ein-
schmeichelnd, so geschmackvoll an der Fläche eines
Gebrauchsgegenstandes anheftet, dass diese organisch
ausgefüllt erscheint, obwohl sie es gar nicht ist:
hat der Natureindruck in der Seele unseres Künst-
lers jene Wandlung, jene ästhetische Transsub-
stantiation durchgemacht, die wir zuvor schematisch
angedeutet haben, die uns aber ihrem Wesen nach
nicht minder unergründlich ist als jenes heilige
Mysterium, mit dessen Namen wir sie zu nennen
uns erkühnten. Ferner füllen seine Formen die
Fläche in der That organisch aus: denn sie sind
für dieselbe ersonnen, durch sie bedingt; sie sind
rythmischen und konstruktiven Gesetzen unter-
worfen. — Die Anordnung der Farbenflecke, der
Verschlingungen, Spiralen, Brennpunkte erfolgt des-
gleichen aus der Phantasie in unwillkürlicher Rück-
sicht auf den Zweck. Also auch der Geschmack
des Künstlers geht organisch aus seinem Gesammt-
schaffen hervor, indessen er den Japaner nur leitet
beim Anbringen dessen, was er der Erscheinungs-
welt mit Keckheit raubte oder mit List und Bedacht-
samkeit stahl. Wir erkennen den elementaren
Unterschied zwischen unserem und dem japanischen
Künstler. — Dass er endlich den Engländern und
Franzosen nicht unterthan ist, erhellt aus der
Genesis eines jeden seiner Werke, in der, wie wir
am Eingange dieses Abschnittes schon sagten, nur
drei Kräfte wirksam sind: die Natur, die Konstruk-
tion des Gegenstandes und die Erfindung des
Künstlers.
Indem wir, von der ästhetischen Selbständigkeit
und dem verfeinerten Geschmacke des Künstlers
nunmehr überzeugt, weiter untersuchten, ob er
auch in der Technik nicht hinter den Stickereien
der anderen kunstgewerblich schaffenden Nationen
zurückbliebe, wurde uns erst recht eine seltene
Ueberraschung zuteil. Die grössten Schwierigkeiten
waren hier nicht allein auf das anmutigste, schein-
bar müheloseste überwunden, es waren sogar wert-
volle Verfahren angewendet, die vor Obrist nie-
mand gekannt hatte. Zahlreiche Ornamente waren
nicht nur blos flach gestickt oder nur auf unter-
legte Füllung gearbeitet, sondern plastisch modelliert
und nach dem Thonrelief auf dem Grundstoffe
mit Baumwolle nachmodelliert und sodann kunst-
voll überstickt. Sehr oft war von den Regeln des
„guten" akademischen Stickens abgewichen: den
neuen Gedanken des Erfinders folgten neue tech-
nische Mittel. Oft ist kein Stich dem anderen
gleich; ein unentwirrbares Geflimmer von ver-
schiedenartigen Stichen flutet auf den ornamentalen
Formen dahin, wie von einem Pulsschlage belebt,
wie die Zellen eines lebenden Körpers von orga-
nischer Kraft und Rhythmik bewegt. Und trotzdem
ruhte das Ganze ruhig und geschlossen in seiner
Einheit auf dem Grunde, festgehalten durch kolo-
ristische und zeichnerische Brennpunkte; ruhiger
und geschlossener als die in harten, regelmässigen
Stichen gedankenlos ausgeführten Nachahmungen
schon vorhandener Stilformen. Diese Methode,
ich nenne sie „organische Stickerei", hat es dem
Künstler allein ermöglicht, einen seiner bedeutend-
sten allgemein-künstlerischen Gedanken durchzu-
führen. Hermann Obrist entnimmt der Natur nicht
allein formale und koloristische Motive, sondern
gründet auch ornamentale Erfindungen auf die
grossen organischen Prinzipien, wie sie sich in
einem lebenden Wesen, einer Pflanze, einem Tier-
körper zu erkennen geben.
Wenn wir uns mit kontemplativer Innigkeit in
die äussere Erscheinung einer Pflanze, etwa einer
Eiche, versenken, so erschliessen wir bald aus deren
Mannigfaltigkeit einen ganz bestimmten, alle Einzel-
heiten beherrschenden und tragenden Grundzug,
wie wir etwa bei einer symphonischen Aufführung
die Grundmelodie, dasMelos, das alles „Bewegende",
das „Motiv" heraushören. — Nicht etwa ein Schema,
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