Jungfrau, die in Blumen wandelt und die Sonne
trägt! — Aehnlich eine Phantasie: zerstreute Blumen-
sterne auf moosigem Grunde, über den gleichsam
ein Schwärm verlorener Sonnensrahlen sich verirrte:
ganz einfach durch ein weitmaschiges Netz von
Golddraht ausgedrückt.
Einst sah Obrist bei einem Uhrmacher ein Stück
gelben alten Peluches, auf welchem jener seit vielen
Jahren seine Metallarbeit betrieben hatte. In Folge
davon war der Stoff an manchen Stellen ausge-
schabt, an anderen metallglänzend und auf die
merkwürdigste Weise rostig gefärbt. Wie selbst-
verständlich und wie tief, darauf eine schwarze
Felsenblume zu sticken, wie sie auf zerwittertem
Gesteine kriecht! Oder ist es das finstere Gespinnst
einer grossen, schwarzen, geheimnisvollen Spinne,
die in zerfallenen Hallen wohnt? — Wie geistvoll,
zu dem Flechtenmotive, welches, ähnlich der er-
wähnten Mappe, einen rinden-braunen Sessel ziert,
einen rotgelben Rostflecken zu setzen, den die
Natur nur auf Steinen hervorbringt, der hierauf
der Borke aber den Eindruck des aus Verbrauch-
tem Wuchernden so ungeheuer verstärkt! — Eine
Tischdecke aus blauem Tuche trägt ein dreiteiliges
Wurzelmotiv, das uns an einen Drudenfuss der
nährenden und tragenden Gewalten gemahnt. Ein
Teppich zeigt auf einem phantastischen Wurzel-
geäder in der Diagonale eine wirbelnde, flammende
Bahn kreisender Spiralen. Das rauscht nur so von
sprudelndem, zuckendem Leben! Wir glauben
schwindelnd in den Abgrund der erregten, treiben-
den Mächte zu starren. Ich stelle eine Vase darauf,
welche unser Künstler gebildet hat: einen Mörser,
an dessen Kanten die langbärtigen Häupter ent-
schlafener Greise hervortreten, ein Totenbein steht
darin als Stössel: so prangt das Sinnbild der ewigen
Ruhe auf dem Teppich des unerschöpflichen
Lebens. —
Drei Stickereien gehen in der Werkstätte ihrer
Vollendung entgegen: ein Einsatz für ein Kleider-
schränkchen aus hellem Holze, das seinen Platz
in einem Boudoir finden soll, darstellend einen
Libellenstrudel am Abend im Schilfe. Ferner eine
Diwandecke mit einem flimmernden, flutenden
Motive, das den blitzenden Lichtwellen auf dem
Strudel eines Baches entnommen ist, und endlich
eine vier Meter hohe Wanddekoration: „Der
blühende Baum." In majestätischer Pracht erhebt
sich der breite Stamm, nach beiden Seiten weit aus-
ladende Aeste entsendend. Feierlich steht er, pran-
gend in goldenen Blüten. Ein Strom schwellender
Kraft scheint durch Stamm und Geäst in breiten
Rhythmen zu pulsen und bis in die äussersten, grünen
Spitzchen und in die zartesten gelben Kelche zu
beben, ein einziger, grosser Takt des Wachstums, ein
Dithyrambus auf den Frühling, ein jubelndes „Es
werde!" Und dennoch: welche erhabene Ruhe,
welche stille Feier, welch reiner Himmels glänz!
Dieser Kerzenschimmer der springenden Knospen
und jungen Blüten, dieses milde Prangen, diese
ahnungsvollen Dämmerungen zwischen den edel-
geschwungenen Aesten, dieses Flimmern in dem
noch halbverdeckten Blättergrün — das vereint
mit dem Rausche des Lenzes und des Werdens
den beglückenden Zauber des Festes der Erfüllung,
Weihnachtssegen! Wir glauben über der ragen-
den Baumkrone den Flug kindlicher Engel zu
spüren3 und silberhell und klar ertönt ihr Gesang:
„Vom Himmel hoch, da komm ich her . . ."
Möge der Geist Hermann Obrists das deutsche
Kunstgewerbe dergestalt erfüllen, dass wir auch über
dieses wieder aussagen können: Ein blühender Baum!
Georg Fuchs
140* ■ igä
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trägt! — Aehnlich eine Phantasie: zerstreute Blumen-
sterne auf moosigem Grunde, über den gleichsam
ein Schwärm verlorener Sonnensrahlen sich verirrte:
ganz einfach durch ein weitmaschiges Netz von
Golddraht ausgedrückt.
Einst sah Obrist bei einem Uhrmacher ein Stück
gelben alten Peluches, auf welchem jener seit vielen
Jahren seine Metallarbeit betrieben hatte. In Folge
davon war der Stoff an manchen Stellen ausge-
schabt, an anderen metallglänzend und auf die
merkwürdigste Weise rostig gefärbt. Wie selbst-
verständlich und wie tief, darauf eine schwarze
Felsenblume zu sticken, wie sie auf zerwittertem
Gesteine kriecht! Oder ist es das finstere Gespinnst
einer grossen, schwarzen, geheimnisvollen Spinne,
die in zerfallenen Hallen wohnt? — Wie geistvoll,
zu dem Flechtenmotive, welches, ähnlich der er-
wähnten Mappe, einen rinden-braunen Sessel ziert,
einen rotgelben Rostflecken zu setzen, den die
Natur nur auf Steinen hervorbringt, der hierauf
der Borke aber den Eindruck des aus Verbrauch-
tem Wuchernden so ungeheuer verstärkt! — Eine
Tischdecke aus blauem Tuche trägt ein dreiteiliges
Wurzelmotiv, das uns an einen Drudenfuss der
nährenden und tragenden Gewalten gemahnt. Ein
Teppich zeigt auf einem phantastischen Wurzel-
geäder in der Diagonale eine wirbelnde, flammende
Bahn kreisender Spiralen. Das rauscht nur so von
sprudelndem, zuckendem Leben! Wir glauben
schwindelnd in den Abgrund der erregten, treiben-
den Mächte zu starren. Ich stelle eine Vase darauf,
welche unser Künstler gebildet hat: einen Mörser,
an dessen Kanten die langbärtigen Häupter ent-
schlafener Greise hervortreten, ein Totenbein steht
darin als Stössel: so prangt das Sinnbild der ewigen
Ruhe auf dem Teppich des unerschöpflichen
Lebens. —
Drei Stickereien gehen in der Werkstätte ihrer
Vollendung entgegen: ein Einsatz für ein Kleider-
schränkchen aus hellem Holze, das seinen Platz
in einem Boudoir finden soll, darstellend einen
Libellenstrudel am Abend im Schilfe. Ferner eine
Diwandecke mit einem flimmernden, flutenden
Motive, das den blitzenden Lichtwellen auf dem
Strudel eines Baches entnommen ist, und endlich
eine vier Meter hohe Wanddekoration: „Der
blühende Baum." In majestätischer Pracht erhebt
sich der breite Stamm, nach beiden Seiten weit aus-
ladende Aeste entsendend. Feierlich steht er, pran-
gend in goldenen Blüten. Ein Strom schwellender
Kraft scheint durch Stamm und Geäst in breiten
Rhythmen zu pulsen und bis in die äussersten, grünen
Spitzchen und in die zartesten gelben Kelche zu
beben, ein einziger, grosser Takt des Wachstums, ein
Dithyrambus auf den Frühling, ein jubelndes „Es
werde!" Und dennoch: welche erhabene Ruhe,
welche stille Feier, welch reiner Himmels glänz!
Dieser Kerzenschimmer der springenden Knospen
und jungen Blüten, dieses milde Prangen, diese
ahnungsvollen Dämmerungen zwischen den edel-
geschwungenen Aesten, dieses Flimmern in dem
noch halbverdeckten Blättergrün — das vereint
mit dem Rausche des Lenzes und des Werdens
den beglückenden Zauber des Festes der Erfüllung,
Weihnachtssegen! Wir glauben über der ragen-
den Baumkrone den Flug kindlicher Engel zu
spüren3 und silberhell und klar ertönt ihr Gesang:
„Vom Himmel hoch, da komm ich her . . ."
Möge der Geist Hermann Obrists das deutsche
Kunstgewerbe dergestalt erfüllen, dass wir auch über
dieses wieder aussagen können: Ein blühender Baum!
Georg Fuchs
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