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tungen seinen berechtigten Grund hat. Aber auch hier
liegt der tiefere Grund nicht in den Leuten^ nicht
im Handwerke, sondern in der Sache: wir haben es
in Deutschland leider noch nicht zu einem modernen,
nationalen Haus gebracht; daher fehlt uns noch der
Sinn, fehlt uns die Fähigkeit zu nationaler künst-
lerischer Ausstattung desselben. Wenn Fuchs den
jungen Künstler als echt deutschen Künstler feiert,
so will ich wahrlich nichts dagegen einwenden; ich
freue mich mit ihm, dass einmal ein eigenes,
starkes Talent auf deutschem Boden entsprossen
ist. Aber um sich ganz frei zu entwickeln, um nach
seinem ganzen Umfange sich entfalten zu können,
findet gerade das Talent von Obrist in Deutschland
den Boden noch nicht genügend vorbereitet. Wie

Obrist schon früher in Paris und Florenz sich mit
fremder Kunst in Kontakt gesetzt hat, ohne seine
Eigenart dadurch zu beeinträchtigen, so wird er
nach meinem Dafürhalten die Anregung zu einer
vollen Entfaltung seines angeborenen Talents,
zur weiteren Ausbildung seines Könnens und zu-
gleich zum Heil für die Entwickelung unseres
deutschen Hauses da suchen müssen, wo ein
nationales Haus schon vorhanden ist, wo zugleich
Lebensgewohnheiten und künstlerische Bedürfnisse
die ähnlichen sind wie bei uns. Dies ist in England
und ist vor Allem in Amerika der Fall.

Ich weiss, dass ich mit diesen Worten vielen als
Abtrünniger an der deutschen Sache erscheine.
Ueber das, was ich von der modernen Kunst in
den Vereinigten Staaten aus Anlass der Ausstellung
in Chicago gesagt habe, ist man achselzuckend
hinweggegangen oder hat mit energischem Protest
dagegen hoch die deutsche Flagge gehisst, indem

man verächtlich auf das hingewiesen hat, was unsere
Museen von „amerikanischer Kunst" mitgebracht
haben. Dagegen bemerke ich, dass diese Sachen
mit wenigen unscheinbaren Ausnahmen, auch drüben
nicht als Kunst angesehen wurden und die in dem
hiesigen Kunstgewerbe-Museum einige Zeit gezeigt
worden sind, um der technischen Einfachheit und
Zweckdienlichkeit willen, nicht aber um ihr künst-
lerischen Qualitäten willen. Nach wie vor bin
ich daher der Ansicht, dass es patriotischer ist,
Mängel und Fehler einzugestehen und selbst von
Fremden zu lernen, um dadurch auch in der Kunst
und im Handwerk wieder national zu werden, als
im bequemen Weiterschlendern auf längst ausge-
tretenen Bahnen, in der Nachahmung von Formen,

die zu unseren Bedürfnissen nicht mehr passen,
uns acht deutsch vorzukommen.

Wie werden sich die Stickereien von Obrist in
unseren modernen deutschen Zimmern ausnehmen?
Obrist selbst muss mit Schrecken daran denken, ein-
zelne ganz kleine Mappen oder ähnliche kleine
Stücke, von denen er selbst kaum etwas wissen will,
vielleicht ausgenommen. Seine Arbeiten vertragen
nur eine gleich gestimmte Umgebung, die er im
deutschen Hause nicht finden kann, die er aber im
englisch-amerikanischen Hause findet, weil dasselbe —
ich spreche natürlich nur von seiner Ausbildung
durch die hervorragendsten modernen Architekten
und Dekorateure, bei den höchsten künstlerischen
Anforderungen — einheitlich disponiert und ein-
heitlich dekoriert wird. Noch in höherem Masse als
für das englische Haus gilt das für das amerikanische
Haus, Stadthaus wie Villa, die sich, jedes für sich,
aus ganz neuen Verhältnissen und mit Rücksicht auf

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