die modernen Bedürfnisse, ohne den hemmenden
Anschluss an die Vergangenheit, entwickeln konnten.
Auch in Amerika ist das Studium der alten Kunst
und der Anlehnung an dieselbe durchaus nichts
ungewöhnliches 3 sind doch die namhaften ameri-
kanischen Künstler, insbesondere die Architekten
regelmässig in England und vor Allem in Paris
ausgebildet und kennen Italien aus dem Grunde.
Ebenso bekunden gerade die „vornehmen" Ameri-
kaner in ihren Bauten gern ihre europäische Bildung
und verlangen daher den einen oder anderen älteren
Stil für Fagade wie für Inneneinrichtung; aber dies
ist nicht die Regel und gilt vor Allem nicht für
die Menge der Wohlhabenden und Reichen. Im
Grossen und Ganzen ist es
namentlich bei der Zimmer-
architektur den Dekora-
teuren, Louis TifFany an der
Spitze, möglich, die ganze
Dekoration einheitlich und
mehr oder weniger frei
nach ihrer Phantasie zu er-
finden und durchzuarbeiten.
Wer ein Haus wie das von
Ch. Havemeyer, Col. John
Hay oder Louis TifFany
selbst, wer die Bibliothek in
Boston, einzelne Colleges in
den Universitäten, Kapellen
und ähnliche Neubauten
kennt, wird beurteilen kön-
nen, welchen gewaltigen Vor-
sprung ein talentvoller Künstler dort einem hiesigen
Architekten gegenüber hat. Was von alten Aus-
stattungsstücken des Hauses nicht mit den modernen
Bedürfnissen im Einklang steht, ist im modernen
amerikanischen Hause über Bord geworfen: mit
der Centralheizung der Oefen, zuweilen auch der
Kamin, mit dem elektrischen Licht der Kronleuchter
und Standleuchter, mit den Wandschränken und
Schrankkammern die Kommode und vielfach der
Schrank. Dafür sind neue Formen gefunden, die den
Anforderungen und der Natur des elektrischen Lichtes
u. s. f. entsprechen, und diese Formen werden mit
der ganzen Ausstattung des Zimmers zusammen
erdacht und einheitlich durchgeführt. Die Stuck-
decke, in deren Ornamenten die Hauptbeleuchtungs-
körper angebracht sind, ist mit der Wand durch
einen breiten Fries Verbunden; die Wand ist jetzt
regelmässig nicht mehr tapeziert oder mit Stoff be-
zogen, sondern aus Stuck mit kleinen flachen einge-
drückten Mustern gearbeitet; ein Stucksockel oder
eine niedrige Täfelung schliesst sie nach dem in
reichem Holzmosaik gearbeiteten Fussboden ab. Ein-
heitliche Profile und Ornamente, harmonische Färbung
durchUebereinstimmung wie durchKontraste, werden
an den Wänden und Decken wie an den Möbeln
der Zimmer angestrebt, und noch kräftiger und
phantasievoller kommen sie in den Vorräumen und in'
der Halle zum Ausdruck, wo Mosaik und reichste
Marmorbekleidung Decken, Wände und Fussboden
schmücken und durch die prächtig leuchtenden
bunten Fenster in einen zauberhaften Ton zu-
sammen gestimmt werden. Erst wenn Obrist solche
Lösungen kennen gelernt hat, wenn er selbst dann
vor ähnliche Aufgaben ge-
stellt wird, erst wenn es
ihm vergönnt sein wird,
seine stilvollen Pflanzen-
oder Tierornamente an der
Dekoration der Decken und
der Wände durchzuführen,
seine phantastisch grossen
Formen breit über die
Friese hinzulagern, in den
Leuchtkörpern für das elek-
trische Licht organische Bil-
dungen von verwandtem
Charakter zu schaffen, die
Ausstattung mit Möbel und
Stoff dem anzupassen, die
Gegensätze in den Farben mit
seiner koloristischen Meister-
schaft und unter raffinierter Benutzung der Beleuch-
tung zu zauberhafter Farbenwirkung zu vereinigen,
wenn er so jeden einzelnen Raum nach seiner Bedeu-
tung durchbilden und den Plan des ganzen Hauses
durch Steigerung und Aussöhnung solcher Effekte
nach seinem künstlerischen Sinn ausarbeiten darf:
erst dann wird Obrist ganz in seinem Felde sein!
Dass er dann, auch wenn er an fremden Vorbildern
gelernt hat, (und Amerika weist in der That ver-
wandte Leistungen gerade in der Innendekoration
der neuesten Bauten auf) doch durchaus eigenes
leisten, durchaus deutsch erfinden und schaffen
wird, dafür bürgt die Eigenartigkeit von Hermann
Obrist schon in ihrer jetzigen Erscheinung, dafür
bürgt ebenso sehr auch sein selbst gewählter, selb-
ständiger Bildungsgang. Möge der junge Künstler
die Gönner finden, die ihn vor solche Aufgaben
stellen, die das, was tief in ihm steckt, voll zur
Entfaltung bringen helfen!
Wilhelm Bode
C 328 ö
Anschluss an die Vergangenheit, entwickeln konnten.
Auch in Amerika ist das Studium der alten Kunst
und der Anlehnung an dieselbe durchaus nichts
ungewöhnliches 3 sind doch die namhaften ameri-
kanischen Künstler, insbesondere die Architekten
regelmässig in England und vor Allem in Paris
ausgebildet und kennen Italien aus dem Grunde.
Ebenso bekunden gerade die „vornehmen" Ameri-
kaner in ihren Bauten gern ihre europäische Bildung
und verlangen daher den einen oder anderen älteren
Stil für Fagade wie für Inneneinrichtung; aber dies
ist nicht die Regel und gilt vor Allem nicht für
die Menge der Wohlhabenden und Reichen. Im
Grossen und Ganzen ist es
namentlich bei der Zimmer-
architektur den Dekora-
teuren, Louis TifFany an der
Spitze, möglich, die ganze
Dekoration einheitlich und
mehr oder weniger frei
nach ihrer Phantasie zu er-
finden und durchzuarbeiten.
Wer ein Haus wie das von
Ch. Havemeyer, Col. John
Hay oder Louis TifFany
selbst, wer die Bibliothek in
Boston, einzelne Colleges in
den Universitäten, Kapellen
und ähnliche Neubauten
kennt, wird beurteilen kön-
nen, welchen gewaltigen Vor-
sprung ein talentvoller Künstler dort einem hiesigen
Architekten gegenüber hat. Was von alten Aus-
stattungsstücken des Hauses nicht mit den modernen
Bedürfnissen im Einklang steht, ist im modernen
amerikanischen Hause über Bord geworfen: mit
der Centralheizung der Oefen, zuweilen auch der
Kamin, mit dem elektrischen Licht der Kronleuchter
und Standleuchter, mit den Wandschränken und
Schrankkammern die Kommode und vielfach der
Schrank. Dafür sind neue Formen gefunden, die den
Anforderungen und der Natur des elektrischen Lichtes
u. s. f. entsprechen, und diese Formen werden mit
der ganzen Ausstattung des Zimmers zusammen
erdacht und einheitlich durchgeführt. Die Stuck-
decke, in deren Ornamenten die Hauptbeleuchtungs-
körper angebracht sind, ist mit der Wand durch
einen breiten Fries Verbunden; die Wand ist jetzt
regelmässig nicht mehr tapeziert oder mit Stoff be-
zogen, sondern aus Stuck mit kleinen flachen einge-
drückten Mustern gearbeitet; ein Stucksockel oder
eine niedrige Täfelung schliesst sie nach dem in
reichem Holzmosaik gearbeiteten Fussboden ab. Ein-
heitliche Profile und Ornamente, harmonische Färbung
durchUebereinstimmung wie durchKontraste, werden
an den Wänden und Decken wie an den Möbeln
der Zimmer angestrebt, und noch kräftiger und
phantasievoller kommen sie in den Vorräumen und in'
der Halle zum Ausdruck, wo Mosaik und reichste
Marmorbekleidung Decken, Wände und Fussboden
schmücken und durch die prächtig leuchtenden
bunten Fenster in einen zauberhaften Ton zu-
sammen gestimmt werden. Erst wenn Obrist solche
Lösungen kennen gelernt hat, wenn er selbst dann
vor ähnliche Aufgaben ge-
stellt wird, erst wenn es
ihm vergönnt sein wird,
seine stilvollen Pflanzen-
oder Tierornamente an der
Dekoration der Decken und
der Wände durchzuführen,
seine phantastisch grossen
Formen breit über die
Friese hinzulagern, in den
Leuchtkörpern für das elek-
trische Licht organische Bil-
dungen von verwandtem
Charakter zu schaffen, die
Ausstattung mit Möbel und
Stoff dem anzupassen, die
Gegensätze in den Farben mit
seiner koloristischen Meister-
schaft und unter raffinierter Benutzung der Beleuch-
tung zu zauberhafter Farbenwirkung zu vereinigen,
wenn er so jeden einzelnen Raum nach seiner Bedeu-
tung durchbilden und den Plan des ganzen Hauses
durch Steigerung und Aussöhnung solcher Effekte
nach seinem künstlerischen Sinn ausarbeiten darf:
erst dann wird Obrist ganz in seinem Felde sein!
Dass er dann, auch wenn er an fremden Vorbildern
gelernt hat, (und Amerika weist in der That ver-
wandte Leistungen gerade in der Innendekoration
der neuesten Bauten auf) doch durchaus eigenes
leisten, durchaus deutsch erfinden und schaffen
wird, dafür bürgt die Eigenartigkeit von Hermann
Obrist schon in ihrer jetzigen Erscheinung, dafür
bürgt ebenso sehr auch sein selbst gewählter, selb-
ständiger Bildungsgang. Möge der junge Künstler
die Gönner finden, die ihn vor solche Aufgaben
stellen, die das, was tief in ihm steckt, voll zur
Entfaltung bringen helfen!
Wilhelm Bode
C 328 ö