PLAKATKUNST
VON
HANS W. SINGER
Nl
die
meisten Menschen
gar nicht, dass man von
künstlerischen Plakaten
spricht, dass man sie
sammelt, dass man
diesen ganzen Kunst-
zweig zu einer Gleich-
berechtigung mit ande-
ren graphischen Wer-
ken erhoben hat,—und
es werden schon dicke
Quartbände darüber
veröffentlicht, die das
Thema wissenschaft-
lich erörtern, womög-
lich historisch erschöp-
fend darstellen wollen.
Damit können wir
nicht wetteifern. Wir
beschränken uns auf
den Versuch, die
Hauptmomente in der
schnellenEntwickelung
der Plakatkunst fest-
zustellen. — Beginnen
wir mit einer Erklärung.
Was ist eigentlich ein
künstlerisches Plakat?
Es ist zunächst eine
alte Sache. Gleich Naturalismus, Plein-air und all den
schönen Dingen, die im Lauf der letzten Jahre
manchen Staub in der Kunstarena aufgewirbelt haben,
ist es nicht neu, sondern neugeboren. Um nur ein
Beispiel anzuführen, das mir kürzlich in die Hände
fiel: Auf einem Blatt, das Marco Pitteri in etwa halber
Grösse dieser Seite nach G. B. Piazetta stach, sehen
wir einen Ruhmesgenius, einen Mann mit Maulbeer--
zweigen, eine weibliche Figur, die einen Stoffabmisst,
JÜLES CHERET
und die Schrift „Fabrica di Panni di Seta d'Antonio
Ferrari in Veneria." Hier haben wir die Theorie des
Plakats verkörpert. Künstlerhände entwarfen für
einen Gewerbetreibenden ein Werk, das den Zweck
hat seine Erzeugnisse anzupreisen. Die Original-
zeichnung ist nur Modell, das eigentliche Kunst-
werk bilden die Plakate selbst.
Solche eigentliche Plakate hat es immer gegeben,
für Gewerbe, Vergnügungen, politische Angelegen-
heiten u. s. w.: doch sie schwanden bald zu einem
Häuflein gegenüber dem Heer uneigentlicher Plakate,
denen die Theorie fehlte. Die Theorie ist aber
in diesem Fall gleichbedeutend mit Kunst, oder
sagen wir besser mit künstlerischer Idee und Persön-
lichkeit. Die anderen, das Heer der gewöhnlichen
Plakate, haben nicht dieselbe Entstehungsgeschichte.
An einem berühmten Beispiel kann man es erläutern.
Der Besitzer einer grossen Seifenfabrik sieht das
Gemälde eines berühmten Malers, das ein Kind mit
Seifenblasen beschäftigt darstellt. Er kauft das
Oelbild, lässt sich durch eine lithographische An-
stalt farbige Facsimile-Copien mit hinzugefügter
Firma drucken, und diese werden nun ausgehängt.
Plakate sind es ja, aber nicht solche, die man künst-
lerisch nennt, denn hier wurde die künstlerische
Aufgabe mit dem Oelgemälde gelöst, die Plakate
sind nur mechanische Reproduktionen. Dieser
Unterschied ist ein wichtiger, ob der Künstler
direkt zum Zweck der Anzeige ein Werk schafft,
oder ob irgend ein vorhandenes, nicht zu diesem
Zweck entstandenes Bild als Plakat benutzt wird.
Letzterer Art sind die Mehrzahl der Plakate
bislang gewesen. Wenn irgend ein bekanntes
Genrebild auf irgend eine Weise in Beziehung zu
dem Produkt eines Kaufmannes zu bringen war, so
wurde es als Plakat benutzt. Fehlte es an Bildern,
so half man sich mit photographischen Aufnahmen.
An der sich dabei einstellenden Verwilderung
des Plakats trägt nicht so sehr der schlechte Ge-
ll 3^9 3
VON
HANS W. SINGER
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die
meisten Menschen
gar nicht, dass man von
künstlerischen Plakaten
spricht, dass man sie
sammelt, dass man
diesen ganzen Kunst-
zweig zu einer Gleich-
berechtigung mit ande-
ren graphischen Wer-
ken erhoben hat,—und
es werden schon dicke
Quartbände darüber
veröffentlicht, die das
Thema wissenschaft-
lich erörtern, womög-
lich historisch erschöp-
fend darstellen wollen.
Damit können wir
nicht wetteifern. Wir
beschränken uns auf
den Versuch, die
Hauptmomente in der
schnellenEntwickelung
der Plakatkunst fest-
zustellen. — Beginnen
wir mit einer Erklärung.
Was ist eigentlich ein
künstlerisches Plakat?
Es ist zunächst eine
alte Sache. Gleich Naturalismus, Plein-air und all den
schönen Dingen, die im Lauf der letzten Jahre
manchen Staub in der Kunstarena aufgewirbelt haben,
ist es nicht neu, sondern neugeboren. Um nur ein
Beispiel anzuführen, das mir kürzlich in die Hände
fiel: Auf einem Blatt, das Marco Pitteri in etwa halber
Grösse dieser Seite nach G. B. Piazetta stach, sehen
wir einen Ruhmesgenius, einen Mann mit Maulbeer--
zweigen, eine weibliche Figur, die einen Stoffabmisst,
JÜLES CHERET
und die Schrift „Fabrica di Panni di Seta d'Antonio
Ferrari in Veneria." Hier haben wir die Theorie des
Plakats verkörpert. Künstlerhände entwarfen für
einen Gewerbetreibenden ein Werk, das den Zweck
hat seine Erzeugnisse anzupreisen. Die Original-
zeichnung ist nur Modell, das eigentliche Kunst-
werk bilden die Plakate selbst.
Solche eigentliche Plakate hat es immer gegeben,
für Gewerbe, Vergnügungen, politische Angelegen-
heiten u. s. w.: doch sie schwanden bald zu einem
Häuflein gegenüber dem Heer uneigentlicher Plakate,
denen die Theorie fehlte. Die Theorie ist aber
in diesem Fall gleichbedeutend mit Kunst, oder
sagen wir besser mit künstlerischer Idee und Persön-
lichkeit. Die anderen, das Heer der gewöhnlichen
Plakate, haben nicht dieselbe Entstehungsgeschichte.
An einem berühmten Beispiel kann man es erläutern.
Der Besitzer einer grossen Seifenfabrik sieht das
Gemälde eines berühmten Malers, das ein Kind mit
Seifenblasen beschäftigt darstellt. Er kauft das
Oelbild, lässt sich durch eine lithographische An-
stalt farbige Facsimile-Copien mit hinzugefügter
Firma drucken, und diese werden nun ausgehängt.
Plakate sind es ja, aber nicht solche, die man künst-
lerisch nennt, denn hier wurde die künstlerische
Aufgabe mit dem Oelgemälde gelöst, die Plakate
sind nur mechanische Reproduktionen. Dieser
Unterschied ist ein wichtiger, ob der Künstler
direkt zum Zweck der Anzeige ein Werk schafft,
oder ob irgend ein vorhandenes, nicht zu diesem
Zweck entstandenes Bild als Plakat benutzt wird.
Letzterer Art sind die Mehrzahl der Plakate
bislang gewesen. Wenn irgend ein bekanntes
Genrebild auf irgend eine Weise in Beziehung zu
dem Produkt eines Kaufmannes zu bringen war, so
wurde es als Plakat benutzt. Fehlte es an Bildern,
so half man sich mit photographischen Aufnahmen.
An der sich dabei einstellenden Verwilderung
des Plakats trägt nicht so sehr der schlechte Ge-
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