HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC
den man sich krank lachen muss, eben weil er so
dumm ist. Was will ein Mensch, dessen Gehirn
derart beschaffen ist, in der Kunst thun? Monu-
mental kann er sich nicht äussern. Für ihn kam
diese Eintagskunst wie gerufen. Hier konnte er
dem hässlichsten Frauenzimmer, wahren Kari-
katuren von Männern zu einer künstlerischen
Verkörperung verhelfen. Hier konnte er die
tollsten und widersinnigsten Dinge, — grüne,
bordeaux-farbene Haut, scheussliche affenartige
Gesichter, — zum Ereignis machen; kurz allem,
was bisher als gänzlich unmöglich galt, konnte er
die Pforte zum Heiligtum der Kunst öffnen, um
es dort einen kurzen Cancan aufführen zu lassen.
Man sehe z. B., wie die Perspektive bei der Hand
und dem Kopf des Bassgeigers auf unsrer Abbil-
dung behandelt ist. Das ist nicht nur Karikatur,
das ist der Wunsch etwas Unerhörtes, etwas Un-
glaubliches zu bieten. Aus der Frivolität in das
Künstlerische hinauf erhebt diese Absicht der
Umstand allein, dass die Ausführung dem Zweck
so völlig entspricht.
Bei Lautrec muss man doppelt darauf achten,
den richtigen Standpunkt zu gewinnen, ehe man
sein Urteil abgiebt. Der gewöhnliche Standpunkt
des grossen Publikums gegenüber einem Kunst-
werk ist der, dass es den Vergleich zwischen dem
Werk und der Natur zieht. So gemessen, kommt
Lautrec allerdings schlecht weg: aber auch wir
kommen schlecht weg, denn wir versperren uns
einen Genuss, wenn wir so an ihn herantreten.
Das, worüber wir uns freuen können, ist die Art,
wie er uns immer überrascht, wie er stets neue
Sachen wagt, die kein andrer vor ihm gewagt hat,
wie er für die Kunst Stoffe gewinnt, die man bislang
noch nicht gesehen hatte. Welcher Maler, welcher
Plastiker, ja welcher Zeichner hätte je sich unter-
fangen können uns einen Gehenkten leibhaftig vor die
Augen zu führen. Lautrec kann es in seiner Affiche
zu Siegels Roman, denn im Stil dieser Kunst
kann er dem grausigen Gegenstand alle Realität
abstreifen, kann ihm alles gedankliche Interesse
wegnehmen, so dass uns nur noch das Staunen
und Vergnügen darüber bleibt, wie er so etwas
geistreich hinschleudert.
Lautrec ist symptomatisch für die neueste franzö-
sische Kunst, die nachdem sie eine Zeit lang das
Banner der Natur hochschwang, auf einmal eine
neue Höhe, den Individualismus, erspähte und hin-
stürmte, die alte Fahne wegwerfend, um diese neue
Kampfesstellung einzunehmen. Einer ihrer indi-
viduellsten Streiter ist unser Mann, — bis zur Will-
kür originell. Originell sein, vermöge seines Geistes
und seines Könnens, die Welt umstürzen, das Schöne
zu unterst, das Hässliche zu oberst stellen, das ist
Lautrec.
Durch diese Auffassung fallen seine Plakate auf.
Was sie sonst auszeichnet, ist nichts neues gegen-
^kLAB0DIN|£
lö Rue 5 L/\2AFUE
Expo
de tbeuv
dessini
et peinl
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tei-T^ME
DU lOAvRiUuiSMAI
THEOPHILE-ALEXANDRE STEINLEN
€ 33a D
den man sich krank lachen muss, eben weil er so
dumm ist. Was will ein Mensch, dessen Gehirn
derart beschaffen ist, in der Kunst thun? Monu-
mental kann er sich nicht äussern. Für ihn kam
diese Eintagskunst wie gerufen. Hier konnte er
dem hässlichsten Frauenzimmer, wahren Kari-
katuren von Männern zu einer künstlerischen
Verkörperung verhelfen. Hier konnte er die
tollsten und widersinnigsten Dinge, — grüne,
bordeaux-farbene Haut, scheussliche affenartige
Gesichter, — zum Ereignis machen; kurz allem,
was bisher als gänzlich unmöglich galt, konnte er
die Pforte zum Heiligtum der Kunst öffnen, um
es dort einen kurzen Cancan aufführen zu lassen.
Man sehe z. B., wie die Perspektive bei der Hand
und dem Kopf des Bassgeigers auf unsrer Abbil-
dung behandelt ist. Das ist nicht nur Karikatur,
das ist der Wunsch etwas Unerhörtes, etwas Un-
glaubliches zu bieten. Aus der Frivolität in das
Künstlerische hinauf erhebt diese Absicht der
Umstand allein, dass die Ausführung dem Zweck
so völlig entspricht.
Bei Lautrec muss man doppelt darauf achten,
den richtigen Standpunkt zu gewinnen, ehe man
sein Urteil abgiebt. Der gewöhnliche Standpunkt
des grossen Publikums gegenüber einem Kunst-
werk ist der, dass es den Vergleich zwischen dem
Werk und der Natur zieht. So gemessen, kommt
Lautrec allerdings schlecht weg: aber auch wir
kommen schlecht weg, denn wir versperren uns
einen Genuss, wenn wir so an ihn herantreten.
Das, worüber wir uns freuen können, ist die Art,
wie er uns immer überrascht, wie er stets neue
Sachen wagt, die kein andrer vor ihm gewagt hat,
wie er für die Kunst Stoffe gewinnt, die man bislang
noch nicht gesehen hatte. Welcher Maler, welcher
Plastiker, ja welcher Zeichner hätte je sich unter-
fangen können uns einen Gehenkten leibhaftig vor die
Augen zu führen. Lautrec kann es in seiner Affiche
zu Siegels Roman, denn im Stil dieser Kunst
kann er dem grausigen Gegenstand alle Realität
abstreifen, kann ihm alles gedankliche Interesse
wegnehmen, so dass uns nur noch das Staunen
und Vergnügen darüber bleibt, wie er so etwas
geistreich hinschleudert.
Lautrec ist symptomatisch für die neueste franzö-
sische Kunst, die nachdem sie eine Zeit lang das
Banner der Natur hochschwang, auf einmal eine
neue Höhe, den Individualismus, erspähte und hin-
stürmte, die alte Fahne wegwerfend, um diese neue
Kampfesstellung einzunehmen. Einer ihrer indi-
viduellsten Streiter ist unser Mann, — bis zur Will-
kür originell. Originell sein, vermöge seines Geistes
und seines Könnens, die Welt umstürzen, das Schöne
zu unterst, das Hässliche zu oberst stellen, das ist
Lautrec.
Durch diese Auffassung fallen seine Plakate auf.
Was sie sonst auszeichnet, ist nichts neues gegen-
^kLAB0DIN|£
lö Rue 5 L/\2AFUE
Expo
de tbeuv
dessini
et peinl
TA®
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THEOPHILE-ALEXANDRE STEINLEN
€ 33a D