Streben, wie das von Puvis de Chavannes, im letzten Grunde
auf die Erfassung der elementaren, vom Affekt des Augen-
blicks möglichst unberührten Seelenstimmungen wie der
feinst abgedämpften Farbentöne ausgeht, also gleichfalls auf
eine Ueberwindung der brutalen Wirklichkeit durch die
harmonisierende Macht der subjektiven Anschauung. Nament-
lich die Bildnisse von Jean Dolent (von 1888) und Gabriel
Seailles (von 1803), deren jeder sein Töchterchen zur Seite
hat, bekunden die grosse Kunst dieses Seelenmalers. Keine
Beziehung zu dem Beschauer, keine Beziehung der Personen
unter sich ist betont, und doch knüpft das unbewusste Weben
des Geistes Bande der Sympathie an, die die Dargestellten als
alte, liebe Bekannte erscheinen lassen. Durchaus persönlicher
Art ist der Zauber, den Carriere ausübt 5 übertragen lässt sich
solches nicht und mag daher manchem als eine übertriebene
Verfeinerung erscheinen. Dass es
sich aber hierbei nicht um eine sub-
jektive Laune, sondern um einen
allgemeinen Zug der Zeit handelt,
beweist der Vergleich mit Schöp-
fungen "Whistlers und Leibls: alle
diese Künstler gehen dem gleichen
Ideal einer unendlich harmonischen,
scheinbar monochromen und doch
aufs reichste abgestuften Farbigkeit
nach, die auf die handgreifliche
Durchführung aller Einzelheiten ver-
zichtet, dafür aber die Möglichkeit
gewährt, die Hauptsachen um so
eindringlicher auszugestalten.
Subjektiver noch als Puvis und
Carriere, und kraftvoller zugleich,
geht der Bildhauer Auguste Rodin
der Natur an den Leib. Von Ueber-
lieferung ist bei ihm wenig zu spüren;
wird man an Michelangelo, an die
Barokkunst erinnert, so ist dies nicht
eine Folge der Nachahmung, sondern
des gleichen Strebens der Natur-
formen Herr zu werden, um sie für
die selbstgewählten Zwecke ver-
wenden zu können. Die Natur hat
er in allen Einzelheiten, in dem wunderbaren Zusammen-
hange der Glieder, Muskeln und Bänder, die den Organismus
bilden, erforscht; was er aber darstellt, sind keine Natur-
gebilde, sondern "Wesen seiner eigenen Phantasie, die die
gleiche Lebenskraft besitzen, aber ihren eigenen Gesetzen
folgen. Kein Schönheitsideal engt ihn in seinem Schaffen
ein: die Schönheit ruht für ihn in der Beweglichkeit, der
Schnellkraft, der Schmiegsamkeit der menschlichen Figur, die
er mit Vorliebe in die gewaltsamsten Stellungen versetzt,
um den ganzen Reichtum ihrer Lebens- und Wirkensfähig-
keit offenbaren zu können. Hier herrscht ein ganz anderes
Gesetz als das der plastischen Ruhe vor: diese Frauen, die
zusammengekauert oder ausgestreckt sich winden, diese
Männer, die in tiefes Brüten versunken dasitzen oder zu
kühnem Handeln emporschnellen, selbst die Büsten, aus deren
Zügen die Stürme des Gedanken- und Empfindungslebens
hervorleuchten, sie alle stellen der trägen, passiven Natur die
nimmer ruhende Kraft des menschlichen Geistes gegenüber.
Eine solche Kunst ist nicht dazu angethan, sich der Architektur
als dienendes, schmückendes Glied einzufügen: wie die wirren
Menschenranken, die jene Pracht-Thür, an der der Meister
nun schon seit Jahrzehnten arbeitet, überwuchern, so fordern
auch die lose aneinander gereihten Einzelgestalten, die das
jüngst enthüllte Denkmal der Bürger von Calais bilden,
Anerkennung laut der ihnen innewohnenden eigenen Lebens-
kraft. Man kann es bedauern, dass solche Werke nicht allen
Anforderungen entsprechen, die an monumentale Arbeiten
gestellt werden können, schwerer aber wiegt jedenfalls, dass
sie etwas leisten, was zu erreichen nur den wenigsten Künst-
lern beschieden ist: dass sie die Grenzen der Darstellungs-
fähigkeit der plastischen Kunst erweitern und die Welt mit
neuen Gebilden bevölkern, die sich unsrer Phantasie unaus-
löschbar einprägen.
Grundverschieden von den Ein-
drücken, die diese französischen
Künstler erzeugen, sind jene, die man
am entgegengesetzten Ende der
Schweiz, im Bücklinsaal des Museums
von Basel gewinnt. Während die
deutschen Galerieen bereits genug
gethan zu haben meinen, wenn sie
ein oder das andere Werk dieses
unseres ersten Meisters angeschafft
haben, lassen die Basler in weitsich-
tiger Erkenntnis es sich angelegen
sein, soviel Bilder ihres grossen
Landsmannes zu erwerben, als sie
erlangen können. Es giebt also
doch einen Fleck auf Erden, wo das
so trostlos wahre Sprichwort von
dem Propheten, der in seinem Vater-
lande nichts gilt, sich nicht be-
währt. Neben den noch befangenen
Werken der Frühzeit hängt jetzt dort
der Lebenstraum, der Kentauren-
kampf, das Sirenenbad, das wunder-
bare Selbstbildnis aus den späteren
Jahren, als letzte Erwerbung der
Odysseus bei Kalypso und, wenn
ich recht berichtet bin, nun wohl
auch die ergreifende kleine Pietä, wo die thränenstarre
alternde Mutter das edle Dulderhaupt des geliebten Sohnes
mit zitternden Händen umfasst. Da ist wieder einmal ein
Moderner, der sich neben dem grossen Holbein voll be-
hauptet, ja der sogar noch vernehmlicher zu uns spricht, da
er nicht kühl seinem Gegenstande gegenüber steht, sondern
aus elementarer Kraft nie gesehene und doch völlig über-
zeugende Gebilde schafft.
Böcklin wirkt nicht, wie jene französischen Künstler,
durch Subjektivität, Vornehmheit, Feinheit, Lebendigkeit,
sondern er ist ein Erzähler und Fabulierer, der uns positiven
Inhalt mitzuteilen hat, oft mit sichtlicher Freude an der Aus-
gestaltung, an der Wiedergabe der berückenden Schönheit
der Welt, ebenso häufig aber auch ohne jede Rücksicht auf
die gemeine Naturwahrheit, nur vom Drange getrieben, seine
Visionen so gewaltig, wie sie ihm erschienen, auch dem Be-
schauer zu übermitteln. Wenn er die Trauer um den Ge-
kreuzigten schildert, so geschieht das nicht in den schön
C 338 ö
auf die Erfassung der elementaren, vom Affekt des Augen-
blicks möglichst unberührten Seelenstimmungen wie der
feinst abgedämpften Farbentöne ausgeht, also gleichfalls auf
eine Ueberwindung der brutalen Wirklichkeit durch die
harmonisierende Macht der subjektiven Anschauung. Nament-
lich die Bildnisse von Jean Dolent (von 1888) und Gabriel
Seailles (von 1803), deren jeder sein Töchterchen zur Seite
hat, bekunden die grosse Kunst dieses Seelenmalers. Keine
Beziehung zu dem Beschauer, keine Beziehung der Personen
unter sich ist betont, und doch knüpft das unbewusste Weben
des Geistes Bande der Sympathie an, die die Dargestellten als
alte, liebe Bekannte erscheinen lassen. Durchaus persönlicher
Art ist der Zauber, den Carriere ausübt 5 übertragen lässt sich
solches nicht und mag daher manchem als eine übertriebene
Verfeinerung erscheinen. Dass es
sich aber hierbei nicht um eine sub-
jektive Laune, sondern um einen
allgemeinen Zug der Zeit handelt,
beweist der Vergleich mit Schöp-
fungen "Whistlers und Leibls: alle
diese Künstler gehen dem gleichen
Ideal einer unendlich harmonischen,
scheinbar monochromen und doch
aufs reichste abgestuften Farbigkeit
nach, die auf die handgreifliche
Durchführung aller Einzelheiten ver-
zichtet, dafür aber die Möglichkeit
gewährt, die Hauptsachen um so
eindringlicher auszugestalten.
Subjektiver noch als Puvis und
Carriere, und kraftvoller zugleich,
geht der Bildhauer Auguste Rodin
der Natur an den Leib. Von Ueber-
lieferung ist bei ihm wenig zu spüren;
wird man an Michelangelo, an die
Barokkunst erinnert, so ist dies nicht
eine Folge der Nachahmung, sondern
des gleichen Strebens der Natur-
formen Herr zu werden, um sie für
die selbstgewählten Zwecke ver-
wenden zu können. Die Natur hat
er in allen Einzelheiten, in dem wunderbaren Zusammen-
hange der Glieder, Muskeln und Bänder, die den Organismus
bilden, erforscht; was er aber darstellt, sind keine Natur-
gebilde, sondern "Wesen seiner eigenen Phantasie, die die
gleiche Lebenskraft besitzen, aber ihren eigenen Gesetzen
folgen. Kein Schönheitsideal engt ihn in seinem Schaffen
ein: die Schönheit ruht für ihn in der Beweglichkeit, der
Schnellkraft, der Schmiegsamkeit der menschlichen Figur, die
er mit Vorliebe in die gewaltsamsten Stellungen versetzt,
um den ganzen Reichtum ihrer Lebens- und Wirkensfähig-
keit offenbaren zu können. Hier herrscht ein ganz anderes
Gesetz als das der plastischen Ruhe vor: diese Frauen, die
zusammengekauert oder ausgestreckt sich winden, diese
Männer, die in tiefes Brüten versunken dasitzen oder zu
kühnem Handeln emporschnellen, selbst die Büsten, aus deren
Zügen die Stürme des Gedanken- und Empfindungslebens
hervorleuchten, sie alle stellen der trägen, passiven Natur die
nimmer ruhende Kraft des menschlichen Geistes gegenüber.
Eine solche Kunst ist nicht dazu angethan, sich der Architektur
als dienendes, schmückendes Glied einzufügen: wie die wirren
Menschenranken, die jene Pracht-Thür, an der der Meister
nun schon seit Jahrzehnten arbeitet, überwuchern, so fordern
auch die lose aneinander gereihten Einzelgestalten, die das
jüngst enthüllte Denkmal der Bürger von Calais bilden,
Anerkennung laut der ihnen innewohnenden eigenen Lebens-
kraft. Man kann es bedauern, dass solche Werke nicht allen
Anforderungen entsprechen, die an monumentale Arbeiten
gestellt werden können, schwerer aber wiegt jedenfalls, dass
sie etwas leisten, was zu erreichen nur den wenigsten Künst-
lern beschieden ist: dass sie die Grenzen der Darstellungs-
fähigkeit der plastischen Kunst erweitern und die Welt mit
neuen Gebilden bevölkern, die sich unsrer Phantasie unaus-
löschbar einprägen.
Grundverschieden von den Ein-
drücken, die diese französischen
Künstler erzeugen, sind jene, die man
am entgegengesetzten Ende der
Schweiz, im Bücklinsaal des Museums
von Basel gewinnt. Während die
deutschen Galerieen bereits genug
gethan zu haben meinen, wenn sie
ein oder das andere Werk dieses
unseres ersten Meisters angeschafft
haben, lassen die Basler in weitsich-
tiger Erkenntnis es sich angelegen
sein, soviel Bilder ihres grossen
Landsmannes zu erwerben, als sie
erlangen können. Es giebt also
doch einen Fleck auf Erden, wo das
so trostlos wahre Sprichwort von
dem Propheten, der in seinem Vater-
lande nichts gilt, sich nicht be-
währt. Neben den noch befangenen
Werken der Frühzeit hängt jetzt dort
der Lebenstraum, der Kentauren-
kampf, das Sirenenbad, das wunder-
bare Selbstbildnis aus den späteren
Jahren, als letzte Erwerbung der
Odysseus bei Kalypso und, wenn
ich recht berichtet bin, nun wohl
auch die ergreifende kleine Pietä, wo die thränenstarre
alternde Mutter das edle Dulderhaupt des geliebten Sohnes
mit zitternden Händen umfasst. Da ist wieder einmal ein
Moderner, der sich neben dem grossen Holbein voll be-
hauptet, ja der sogar noch vernehmlicher zu uns spricht, da
er nicht kühl seinem Gegenstande gegenüber steht, sondern
aus elementarer Kraft nie gesehene und doch völlig über-
zeugende Gebilde schafft.
Böcklin wirkt nicht, wie jene französischen Künstler,
durch Subjektivität, Vornehmheit, Feinheit, Lebendigkeit,
sondern er ist ein Erzähler und Fabulierer, der uns positiven
Inhalt mitzuteilen hat, oft mit sichtlicher Freude an der Aus-
gestaltung, an der Wiedergabe der berückenden Schönheit
der Welt, ebenso häufig aber auch ohne jede Rücksicht auf
die gemeine Naturwahrheit, nur vom Drange getrieben, seine
Visionen so gewaltig, wie sie ihm erschienen, auch dem Be-
schauer zu übermitteln. Wenn er die Trauer um den Ge-
kreuzigten schildert, so geschieht das nicht in den schön
C 338 ö