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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0070

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[Kapitel 2] Photographie als Philosophie: Strindbergs Utilistenphase

5. Zweites Zwischenspiel
In Strindbergs Utilistenphase arbeitet sein Bildprozeß, was »Produkte« angeht,
lange im Verborgenen. Strindberg malt nicht, aber 1886 entstehen zahlreiche
Photographien. In dieser Utilistenzeit kommen neben den im ersten Ab-
schnitt festgestellten Koordinaten seines Bildprozesses neue, teilweise daran
anknüpfende hinzu. So kommt der in der Kunstkritik der siebziger Jahre sich
bereits abzeichnende Widerstreit zwischen dem »Realisten« und dem »Ideali-
sten« in Strindberg (seine Terminologie) zum Ausbruch. Dem realistischen
Grundimpuls auf der einen stehen der ästhetische und der romantische auf
der anderen Seite gegenüber. Dabei bezieht sich der ästhetische eher auf das
»Ob« des Kunstschaffens, der romantische auf das »Wie«, aber diese Einteilung
soll nicht trennen, sondern nur unterscheiden. Dieser Widerstreit entwickelte
eine solche Sprengkraft, weil er aus dem moralischen Grundimpuls
Strindbergs seine Energie bezog. Dieser setzte die Maßstäbe des Konflikts
und gab die Ansprüche an ihn vor. Auf diese Weise nahm er für Strindberg
existentielle Bedeutung an.
Die Impulse des ersten Kapitels konnten in diesem Konflikt vorüberge-
hende »Versöhnung« stiften: Der visuelle Impuls entdeckte die Photographie
als Medium, das den realistisch-moralischen Ansprüchen genügte. Der dyna-
mische Impuls entwickelte diese Möglichkeit zum Projekt Unter französischen
Bauern fort.
Die Gersau-Photographien setzten schon andere Impuls-Akzente. Der
dynamische trat zurück, dafür kam der ästhetisch-romantische wieder zum
Vorschein. Ein Konflikt mit dem moralischen Impuls wurde durch den
Spielcharakter des Projektes vermieden. Dadurch konnten die Gersau-Photo-
graphien aber auch auf Strindbergs Realismus-Konzept frei ausstrahlen. Es
zeichnete sich eine Abwendung vom Utilismus ab, ohne auf den in ihm stark
gemachten realistischen Impuls verzichten zu müssen. Dieser muß zu diesem
Zweck allerdings modifiziert werden, was zu Strindbergs Projekten nach dem
Strafprozeß von 1884 gehört.

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