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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0115

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5. Verschmelzung zur »Materia StrindbergiancK

tisch-ästhetischer Impuls für eine Gestaltung der inneren-äußeren Bildwelten,
die durchaus Anschluß an mythische und romantische Bildideen hält, wie
noch im einzelnen zu zeigen sein wird. Als Gegenprobe für diese Untrenn-
barkeit der unterschiedlichen Impulse läßt sich Strindbergs umfangreichstes
Genre, seine Briefe, ins Spiel bringen. Strindbergs Brief-Ich existiert nur
>monistisch<-dynamisch jeweils unter bestimmten Bedingungen für bestimmte
Empfänger und ist dabei Teil seiner moralischen Ich-Findung und romanti-
schen Selbst-Ästhetisierung.69 Dazu kommt noch in Photographie und Male-
rei das über die Metapher hinaus greifbare visuelle Element. Trotz aller
scheinbaren Veränderung bleiben also die Koordinaten des strindbergschen
Bildprozesses auch unter alchemistischen Vorzeichen immer dieselben, was
nur ihre Komplexität und dynamische Flexibilität erneut beweist. So gesehen
ist dieser Bildprozeß ebenso >monistisch<, wie Strindberg die Welt sieht.
Das Erscheinungsbild dieser Impulse tritt mit Beginn der »alchemisti-
schen Periode« in Strindbergs Biographie noch deutlicher hervor, was unter
anderem an den skizzierten Querverbindungen zwischen Malerei, Photogra-
phie, Alchemie und Psychologie liegt, die zu einer materia strindbergiana
verschmelzen, aus der immer wieder an die ehemals getrennten Elemente
erinnernde Blitze schießen: Strindbergs »Hyperlinks«.70 Es ist seine Art, auf
den ersten Blick wesensfremde Dinge zu verknüpfen. Esswein nennt »den
eigentümlichen Stil jenes Photogrammes, diesen Stil magischer Unwirklich-
keit, gewonnen aus dem »zufälligen« Zusammenspielen denkbar realster
Faktoren, den Stil Strindbergs«.71 Auch sprachlich ist dies sein metaphori-
sches Ideal, die ausdrucksvolle Verkürzung, der Geistesblitz, der unerwartete
Kurzschluß: »Das Bild soll einen Effekt machen, den Zusammenhang zwi-
schen den Dingen erleuchten wie ein Blitz und verschwinden, nicht sie er-
klären oder darlegen.«72 So wird die materia strindbergiana zum Rohmateri-
al eines neu-alten Impulses, des poetischen. Strindberg:
Im 18.Jahrhundert wurde ein großer Poet geboren, der sich den Naturwissenschaften
widmete. [Linne.] Mit Poet meine ich einen Herrn, der Phantasie hat, das heißt die Fähig-
keit, Erscheinungen zu kombinieren, Zusammenhänge zu sehen, zu ordnen und auszu-
sortieren. So kann zum Beispiel ein Maler Figuren in den Sägespänen erkennen, die auf
einem Speicherfußboden verstreut sind, oder, indem er die und die Punkte willkürlich
verbindet, Figuren sehen, wo es keine gibt, oder bloß die Möglichkeit zu ihnen gibt.73
Aus der vereinigten Ur-Materie lassen sich somit ganz andere Zusam-
menhänge erkennen als aus den einzelnen Elementen, wie es die positivisti-
 
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