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Brandt, Annalena [Hrsg.]; Hefele, Franz [Hrsg.]; Lehner, Hanna [Hrsg.]; Pfisterer, Ulrich [Hrsg.]
Pantheon und Boulevard: Künstler in Porträtserien des 19. Jahrhunderts, Druckgrafik und Fotografie — Passau: Dietmar Klinger Verlag, 2021

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Essays
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Lehner, Hanna: Der montierte Künstler. Porträt- Arrangements in Klebebänden der (Frühen) Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.70035#0047
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Hanna Lehner

Jahrhunderts hatten sich Angebot und Nachfrage in einem Maße eingependelt, dass
Sammler in ganz Europa, wenn auch nicht aus einem unerschöpflichen, so doch aber
aus einem breit gefächerten Spektrum an gedrucktem Bildmaterial wählen konnten.3
Nicht selten wuchsen bereits frühe Kollektionen auf mehrere tausend Blätter an:
Ferdinand Columbus, der uneheliche Sohn des berühmten Entdeckungsreisenden,
hatte etwa in Sevilla bis zu seinem Tod im Jahr 1539 stolze 3.204 Blätter zusammen-
getragen,4 und fast zur gleichen Zeit hatte es der 1547 verstorbene Humanist Konrad
Peutinger im fernen Augsburg auf einen zwar nicht derart exakt bezifferbaren, aber
doch beeindruckenden Bestand gebracht.5
Eine solche Materialmenge zu verwalten, stellte den Besitzer vor eine große Auf-
gabe, und zwar zum einen in ganz praktischer, zum anderen in systematischer
Hinsicht. Die erste Herausforderung ließ sich relativ einfach bewältigen, hatte der
Sammler doch im Grunde die Wahl zwischen der Loseblattaufbewahrung in einer
Truhe oder Rolle, wie sie Kolumbus und Peutinger praktizierten, oder aber der Mon-
tierung der Blätter in einen sogenannten Klebeband (im damaligen Sprachgebrauch
,(Kunst)Puch', it. ,libro di Stampe', engl.,print album', frz.,livre d'estampe' bzw. ndl.
,const'- oder auch ,prentenboek'J, der sich schließlich über Generationen hinweg als
bevorzugtes Aufbewahrungsmittel für Blattware durchsetzen sollte. Der Begriff Kle-
beband' ist dabei wörtlich zu nehmen: Einzelne Druckgrafiken und mehrteilige Serien
wurden mit Hilfe von Mehl- oder Stärkeleim auf Blankoseiten aus Papier montiert,6
wobei Anzahl und Anordnung der Blätter pro Seite variabel bzw. den Intentionen
des Zusammenstellers unterworfen waren. Die anschließenden Herstellungsschritte
glichen denen der konventionellen Buchherstellung, d. h. die bebilderten Seiten wur-
den in teils exquisiten Einbänden gebunden. Auf diese Weise gestaltete sich nicht
nur die Handhabung einer größeren Menge an gedrucktem oder gezeichnetem Samm-
lungsgut relativ einfach, dieses war zwischen den Buchdeckeln auch vor schädigenden
Einflüssen wie Stößen oder Quetschungen geschützt.
Äußerst augenfällig manifestiert sich die kontinuierliche Nutzung des Klebebandes
als Aufbewahrungsmedium für Blattware in einem nach 1822 kompilierten Exemplar
mit Sammlungsgut aus dem Besitz Herzog Alberts von Sachsen-Teschen.7 Auf ein-
und demselben Unterlageblatt sind zwei Zustände eines um 1700 entstandenen Mez-
zotintos von Nicolaas Verkolje nach einer Vorlage Arnold Houbrakens montiert8
(Abb. 1): In einem Fensterbogen platziert, sehen wir in direkter Gegenüberstellung
den Kunstsammler und dilettierenden Maler Jacob Moelaert also gleich doppelt. Die
hinter dem Porträtierten drapierten Kunstwerke und Utensilien weisen ihn bereits
als Künstler und Sammler aus. Als prominentestes Attribut dient allerdings ein vor
Moelaert liegender Klebeband, deutlich erkennbar mit montierten Druckgrafiken be-
stückt, in den Händen hält er außerdem ein großes Blatt, das seinen letztendlichen
Bestimmungsort noch nicht gefunden hat. Houbraken wird die hochkarätige Druck-
grafiksammlung seines Zeitgenossen noch Jahre später in der Grooten Schouburgh
(vgL Kat. 51 Pantheon /) lobend hervorheben, helfe sie Moelaert doch dabei, sein Ge-
schmacksurteil kontinuierlich zu verfeinern.9 Die im Wiener Klebeband in Form einer
mise en abyme eindrücklich kondensierten Zeitebenen demonstrieren somit die

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