Ulrich Pohlmann
Prominenz und Geniekult im Spiegel der Bilderindustrie.
Porträtzyklen in der Fotografie 1850-1900
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte die Herstellung und Verbreitung
von Bildnissen jeglicher Art eine bislang unbekannte Dimension. Neben Druckgrafiken
und Gemälden waren es vor allem Fotografien, die seit 1840 in der Erscheinung ihrer
unterschiedlichen technischen Verfahren zur massenhaften Präsenz von Porträts bei-
getragen haben. Die Ursachen für diese Allgegenwart sind vielfältig und begründet
in dem sozialen Bedürfnis des Bürgertums nach medialer Repräsentation und öf-
fentlicher Anerkennung bzw. Bestätigung des klassenspezifischen Status ebenso wie
in der Erinnerungsfunktion von Bildern als Selbstvergewisserung der eigenen Existenz.
Porträts wurden gewöhnlich in Alben gesammelt und aufbewahrt, eine Form des Ge-
denkbuches, die sich seit dem 17. Jahrhundert etabliert hatte. „Das Studium der Por-
traits ist eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Veranschaulichung von Geschichte"1,
schrieb Wilhelm Eduard Drugulin, einer der führenden Buchdrucker und Kunsthändler
von Porträts in Deutschland. Drugulin verfügte über eine riesige Sammlung an Druck-
grafiken berühmter Persönlichkeiten aus allen Zeitepochen, die 1860 bereits mehr
als 24.000 Kupferstiche, Lithografien etc. umfasste. Die Durchsicht dieses Verzeich-
nisses macht deutlich, dass trotz des konkurrierenden Verhältnisses zur Fotografie
der Grafikhandel mit Editionen fortbestand.
In den folgenden Ausführungen soll die Entwicklung der fotografischen Porträt-
zyklen berühmter Zeitgenossen im 19. Jahrhundert an ausgewählten Beispielen
nachgezeichnet werden. Der Fokus liegt auf Produktionen im Zeitraum von 1850
bis 1880 in Deutschland und Frankreich. Diese Porträtserien sind jedoch nur in den
wenigsten Fällen ausschließlich auf Künstler ausgerichtet, vielmehr beinhalten sie
ein breites Spektrum an Persönlichkeiten aus Politik, Klerus, Wissenschaft und
Kultur. Die ersten Veröffentlichungen sind in Form von Lithografien nach fotografi-
schen Vorlagen überliefert. In Nordamerika war es Matthew Bradys Gallery of Illus-
trious Americans. Containing the Portraits and Biographical Sketches of Twenty-four
of the Most Eminent Citizens of the American Republic (vgL Kat. 117), die als
Lithografien von Francis D'Avignon nach Daguerreotypien 1850 in den Kunsthandel
kam. In Deutschland standen am Anfang dieser Entwicklung die Daguerreotypie-
Bildnisse von Parlamentariern der deutschen Nationalversammlung in der Frank-
furter Paulskirche, die der Hamburger Maler und Fotograf Hermann Biow 1848 als
„historische Galerie deutscher Zeitgenossen" anlässlich dieses Ereignisses realisiert
hatte (vgL Kat. 121). Diese Bildnisse dienten als Vorlagen für ein Mappenwerk aus
Lithografien mit dem Titel Männer des Deutschen Volks [...] oder Deutsche National-
Gallerie (Frankfurt 1848).21850 bis 1851 erschien das Porträt-Mappenwerk Deutsche
Zeitgenossen von Biow, das in der ersten Lieferung u. a. das Bildnis des Malers Peter
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Prominenz und Geniekult im Spiegel der Bilderindustrie.
Porträtzyklen in der Fotografie 1850-1900
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte die Herstellung und Verbreitung
von Bildnissen jeglicher Art eine bislang unbekannte Dimension. Neben Druckgrafiken
und Gemälden waren es vor allem Fotografien, die seit 1840 in der Erscheinung ihrer
unterschiedlichen technischen Verfahren zur massenhaften Präsenz von Porträts bei-
getragen haben. Die Ursachen für diese Allgegenwart sind vielfältig und begründet
in dem sozialen Bedürfnis des Bürgertums nach medialer Repräsentation und öf-
fentlicher Anerkennung bzw. Bestätigung des klassenspezifischen Status ebenso wie
in der Erinnerungsfunktion von Bildern als Selbstvergewisserung der eigenen Existenz.
Porträts wurden gewöhnlich in Alben gesammelt und aufbewahrt, eine Form des Ge-
denkbuches, die sich seit dem 17. Jahrhundert etabliert hatte. „Das Studium der Por-
traits ist eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Veranschaulichung von Geschichte"1,
schrieb Wilhelm Eduard Drugulin, einer der führenden Buchdrucker und Kunsthändler
von Porträts in Deutschland. Drugulin verfügte über eine riesige Sammlung an Druck-
grafiken berühmter Persönlichkeiten aus allen Zeitepochen, die 1860 bereits mehr
als 24.000 Kupferstiche, Lithografien etc. umfasste. Die Durchsicht dieses Verzeich-
nisses macht deutlich, dass trotz des konkurrierenden Verhältnisses zur Fotografie
der Grafikhandel mit Editionen fortbestand.
In den folgenden Ausführungen soll die Entwicklung der fotografischen Porträt-
zyklen berühmter Zeitgenossen im 19. Jahrhundert an ausgewählten Beispielen
nachgezeichnet werden. Der Fokus liegt auf Produktionen im Zeitraum von 1850
bis 1880 in Deutschland und Frankreich. Diese Porträtserien sind jedoch nur in den
wenigsten Fällen ausschließlich auf Künstler ausgerichtet, vielmehr beinhalten sie
ein breites Spektrum an Persönlichkeiten aus Politik, Klerus, Wissenschaft und
Kultur. Die ersten Veröffentlichungen sind in Form von Lithografien nach fotografi-
schen Vorlagen überliefert. In Nordamerika war es Matthew Bradys Gallery of Illus-
trious Americans. Containing the Portraits and Biographical Sketches of Twenty-four
of the Most Eminent Citizens of the American Republic (vgL Kat. 117), die als
Lithografien von Francis D'Avignon nach Daguerreotypien 1850 in den Kunsthandel
kam. In Deutschland standen am Anfang dieser Entwicklung die Daguerreotypie-
Bildnisse von Parlamentariern der deutschen Nationalversammlung in der Frank-
furter Paulskirche, die der Hamburger Maler und Fotograf Hermann Biow 1848 als
„historische Galerie deutscher Zeitgenossen" anlässlich dieses Ereignisses realisiert
hatte (vgL Kat. 121). Diese Bildnisse dienten als Vorlagen für ein Mappenwerk aus
Lithografien mit dem Titel Männer des Deutschen Volks [...] oder Deutsche National-
Gallerie (Frankfurt 1848).21850 bis 1851 erschien das Porträt-Mappenwerk Deutsche
Zeitgenossen von Biow, das in der ersten Lieferung u. a. das Bildnis des Malers Peter
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