Hanna Lehner
Der montierte Künstler. Porträt-Arrangements
in Klebebänden der (Frühen) Neuzeit
Dem gesammelten Künstlerporträt - sei es in Form von Gemälden, Skulpturen, Por-
trätbüchern oder Medaillen - kommt bei der Ausbildung von Kanonisierungsprozessen
und Statuszuweisungen eine wichtige Rolle zu.1 Dieser Beitrag untersucht erstmals
konkret das Sammeln druckgrafischer Künstlerporträts in Klebebänden, ein Phäno-
men, das sich vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in verschiedenen Ausformungen nach-
weisen lässt. Dabei sieht man sich zunächst mit einer auf den ersten Blick problema-
tischen Quellenlage konfrontiert: In vielen Fällen ist das relevante Material schlicht
nicht mehr existent, zahlreiche Sammlungsbestände wurden nach dem Tod des Be-
sitzers verkauft oder umstrukturiert, einst Zusammenhängendes wurde auseinan-
dergerissen und in alle Winde zerstreut. Ursprüngliche Kontexte erscheinen zunächst
kaum oder nur mehr schwer nachvollziehbar, doch lassen sich diese Bestände durch
Archivalien wie Inventare oder zeitgenössische Auktions- und Sammlungskataloge
oft bis ins Detail rekonstruieren. Hinzu kommt, dass die im Vergleich zu anderen Ar-
beitsgebieten der Kunstgeschichte noch recht junge Klebebandforschung in einigen
Überblickswerken und Einzelstudien bereits aufschlussreiche Erkenntnisse zu ver-
lorenem und überliefertem Material zu Tage gefördert hat, wenngleich Künstlerpor-
träts, wenn überhaupt, meist nur am Rande Beachtung finden.2 Von außerordentlichem
Gewinn ist nicht zuletzt die international zunehmend etablierte museale Praxis, vor-
handene Klebebandbestände nicht nur digital zugänglich zu machen, sondern auch
den Inhalt der Bände im Hinblick auf den Gesamtkontext sinnvoll zu erfassen und zu
vernetzen. Dank dieser Ausgangssituation lässt sich das Phänomen der in Klebebände
montierten Künstlerporträts relativ problemlos untersuchen. Im Folgenden soll dies
mit dem besonderen Fokus auf das Künstlerporträt in seiner Funktion als Autoren-
porträt unternommen werden. Doch zunächst stellt sich womöglich die Frage: Ein
Klebeband - was ist das überhaupt?
Sammlungsmedium Klebeband
Druckgrafiken haben das Potenzial zur inhaltlichen und praktikablen Flexibilität,
eine Eigenschaft, die bereits ab Ende des 15. Jahrhunderts das Interesse von Sammlern
auf sich zog: Im Vergleich zu dreidimensionalem Sammlungsgut ist das Trägermaterial
Papier leicht zu handhaben, platzsparend und vergleichsweise kostengünstig. Zugleich
sind in thematischer und vor allem auch qualitativer Hinsicht keine Grenzen gesetzt:
Von billig produzierten Wallfahrtsbildchen über politisch aufgeladene Flugblätter bis
hin zu künstlerisch hochmotivierten Spitzenwerken - spätestens ab Mitte des 16.
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Der montierte Künstler. Porträt-Arrangements
in Klebebänden der (Frühen) Neuzeit
Dem gesammelten Künstlerporträt - sei es in Form von Gemälden, Skulpturen, Por-
trätbüchern oder Medaillen - kommt bei der Ausbildung von Kanonisierungsprozessen
und Statuszuweisungen eine wichtige Rolle zu.1 Dieser Beitrag untersucht erstmals
konkret das Sammeln druckgrafischer Künstlerporträts in Klebebänden, ein Phäno-
men, das sich vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in verschiedenen Ausformungen nach-
weisen lässt. Dabei sieht man sich zunächst mit einer auf den ersten Blick problema-
tischen Quellenlage konfrontiert: In vielen Fällen ist das relevante Material schlicht
nicht mehr existent, zahlreiche Sammlungsbestände wurden nach dem Tod des Be-
sitzers verkauft oder umstrukturiert, einst Zusammenhängendes wurde auseinan-
dergerissen und in alle Winde zerstreut. Ursprüngliche Kontexte erscheinen zunächst
kaum oder nur mehr schwer nachvollziehbar, doch lassen sich diese Bestände durch
Archivalien wie Inventare oder zeitgenössische Auktions- und Sammlungskataloge
oft bis ins Detail rekonstruieren. Hinzu kommt, dass die im Vergleich zu anderen Ar-
beitsgebieten der Kunstgeschichte noch recht junge Klebebandforschung in einigen
Überblickswerken und Einzelstudien bereits aufschlussreiche Erkenntnisse zu ver-
lorenem und überliefertem Material zu Tage gefördert hat, wenngleich Künstlerpor-
träts, wenn überhaupt, meist nur am Rande Beachtung finden.2 Von außerordentlichem
Gewinn ist nicht zuletzt die international zunehmend etablierte museale Praxis, vor-
handene Klebebandbestände nicht nur digital zugänglich zu machen, sondern auch
den Inhalt der Bände im Hinblick auf den Gesamtkontext sinnvoll zu erfassen und zu
vernetzen. Dank dieser Ausgangssituation lässt sich das Phänomen der in Klebebände
montierten Künstlerporträts relativ problemlos untersuchen. Im Folgenden soll dies
mit dem besonderen Fokus auf das Künstlerporträt in seiner Funktion als Autoren-
porträt unternommen werden. Doch zunächst stellt sich womöglich die Frage: Ein
Klebeband - was ist das überhaupt?
Sammlungsmedium Klebeband
Druckgrafiken haben das Potenzial zur inhaltlichen und praktikablen Flexibilität,
eine Eigenschaft, die bereits ab Ende des 15. Jahrhunderts das Interesse von Sammlern
auf sich zog: Im Vergleich zu dreidimensionalem Sammlungsgut ist das Trägermaterial
Papier leicht zu handhaben, platzsparend und vergleichsweise kostengünstig. Zugleich
sind in thematischer und vor allem auch qualitativer Hinsicht keine Grenzen gesetzt:
Von billig produzierten Wallfahrtsbildchen über politisch aufgeladene Flugblätter bis
hin zu künstlerisch hochmotivierten Spitzenwerken - spätestens ab Mitte des 16.
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