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Brandt, Annalena [Hrsg.]; Hefele, Franz [Hrsg.]; Lehner, Hanna [Hrsg.]; Pfisterer, Ulrich [Hrsg.]
Pantheon und Boulevard: Künstler in Porträtserien des 19. Jahrhunderts, Druckgrafik und Fotografie — Passau: Dietmar Klinger Verlag, 2021

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Essays
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Thimann, Michael: Private Öffentlichkeit. Gedruckte Künstlerbilder, Gruppenbildnisse und Porträtserien in der Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.70035#0078
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Private Öffentlichkeit

„Eine allegorische Composition, wodurch der Künstler andeuten wollte, was er
für die Aufgabe der neueren Kunst hielt, nämlich: Verschmelzung des Altdeutschen
und Altitalienischen. Albrecht Dürer und Raphael vor dem Throne der Kunst knie-
end, welche ihre Namen und Verdienste für eine kommende Zeit aufzeichnet; im
Hintergründe Nürnberg und Rom."8
Wenn die Entstehung der Vorlage für die Radierung Dürer und Raffael vor dem Thron
der Kunst „um 1810" zutreffend sein sollte, ist die Komposition eine programmatische
Stellungnahme zur Neubegründung der patriotischen Kunst aus dem Geiste einer
synthetischen Raffael-und-Dürer-Rezeption, wie sie Pforr vorgeschwebt haben dürfte.
Sie spiegelt zugleich die aus den frühen Gemäldestudien in Wien hervorgegangene
Bevorzugung der beiden Künstler durch Overbeck und Pforr.9 Die beiden Akademie-
Schüler hatten sich Raffael und Dürer als ihre Musterkünstler gewählt, denen sie
nachahmen wollten, womit der Komposition Pforrs in letzter Konsequenz auch die
Rolle eines Kryptoporträts der beiden Protagonisten des Lukasbundes zukommen
mag. Bemerkenswert ist, dass das künstlerische Rollenspiel auf diesem Blatt noch
nicht explizit gemacht wurde. Pforr und Overbeck sind nicht in Form von Rollenpor-
träts gezeigt, sondern ihre künstlerischen Vorlieben sind höchstens in den Bildnissen
der alten Maler aufgehoben, wobei dieser Kontext für den nicht in die Gedankenwelt
des Lukasbundes eingeweihten Betrachter nicht erkenntlich wird.
Experimentierfeld Selbstporträt
Die Bildniskultur ist im frühen 19. Jahrhundert, der Zeit der Romantik und patrioti-
schen Erhebung der Deutschen gegen Napoleon, teilweise von extravaganten Formen
der Inszenierung gekennzeichnet. Hier lassen sich die Adaption von kunsthistorischen
Musterbildern und die Inszenierung rückgewandter Utopien bis zu politischen Rol-
lenspielen in extremis beschreiben. Auch Heilige oder historische Persönlichkeiten
der Vergangenheit konnten als Identifikationsmuster im Bildnis herangezogen werden.
Die meisten Künstlerbildnisse verblieben allerdings im privaten Medium der Zeich-
nung oder im Ölgemälde, nur selten wurden sie zum Gegenstand der druckgrafischen
Reproduktion. In der Regel waren die oft gegenseitig gezeichneten und geschenkten
Künstlerporträts nicht für den Verkauf gedacht, sondern Objekte eines intensiven
privaten Freundschafts- und Erinnerungskultes.10 Die Bildnisse wurden als intime
Unterpfänder der Freundschaft getauscht, aber nicht durch druckgrafische Repro-
duktion über die lokalen oder nationalen Grenzen hinweg vertrieben.11
So blieb auch das gedruckte Selbstporträt in der Romantik im Wesentlichen ein
Experimentierfeld. Nur wenige druckgrafische Selbstbildnisse sind bekannt und diese
wurden zumeist nur in geringer Anzahl von Abzügen hergestellt.12 So ist von Overbecks
Radierung eines Selbstbildnisses mit der Bibel (Abb. 6) nur ein Exemplar bekannt,13
auch von Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoffs frühem Selbstbildnis, das
sich an Marcantonio Raimondis Raffael im Mantel anlehnt, sind nur wenige Abzüge

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