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Brandt, Annalena [Editor]; Hefele, Franz [Editor]; Lehner, Hanna [Editor]; Pfisterer, Ulrich [Editor]
Pantheon und Boulevard: Künstler in Porträtserien des 19. Jahrhunderts, Druckgrafik und Fotografie — Passau: Dietmar Klinger Verlag, 2021

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Essays
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Ruchatz, Jens: Künstler von der Kamera interviewt. Serielle Konstellationen in der Zeitschrift und das fotografische Porträt im Zeitalter der Celebrity
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https://doi.org/10.11588/diglit.70035#0155
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Jens Ruchatz

nur als unterhaltsames Spiel zu sehen, sondern auch als physiognomisches Training,
um im Abgleich mehrerer Darstellungen das Charakteristische abzuschöpfen. Wie
schon in den Illustrated Interviews wird das Porträt der Persönlichkeit also in eine
Konstellation mehrerer Bilder aufgefächert. Das Format legt insofern nahe, die Bio-
grafie als Abfolge - als Serie - von zeitgebundenen Bildern zu verstehen. In der kon-
stellierten Zusammenschau ist ein Porträt nicht mehr schlicht die Darstellung einer
bestimmten Person, sondern dieser Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres
Lebens. Weil sie eine solche Dichte von Bildern spielend bewältigen kann, bewirbt
sich die Zeitschrift als ideales Medienformat, um den Celebrities so nahe wie möglich
zu kommen.
Parallel zur Biografie der Celebrities rückt die Bildmedien-Geschichte des 19.
Jahrhunderts in den Blick. Nicht nur die Urheber der Bilder - Fotoateliers, Künstler,
im Falle der Maler auch die Porträtierten selbst - werden in den Unterschriften an-
gegeben, sondern auch die jeweiligen Bildtechniken: fotografische Abzüge, aber auch
Daguerreotypien, verschiedene Ausprägungen der Zeichnung, Stiche, Porträtminia-
turen oder Gemälde. Auch die Portraits of Celebrities werden nicht fotomechanisch
reproduziert, sondern über die künstlerische Interpretation im Holzstich, der so ge-
wissermaßen als Gleichrichter für die verschiedenen Abbildungsverfahren fungiert.64
Die Stiche bemühen sich allerdings, die in die Bilder eingeschriebene Materialität
der Bildnisdarstellung optisch nachzuvollziehen, die starre Pose in einer Daguerreo-
typie, die Vignettierung bei einem Albuminabzug, das Linienspiel einer Zeichnung,
gelegentlich sogar die Pinselstriche eines Gemäldes.65 Aus der Perspektive des Holz-
stichs ergibt sich so eine Geschichte der Bildnis-Medien.
Die verbleibenden freien Plätze im Personaltableau des untersuchten Hefts nehmen
ein Schauspieler, eine Schauspielerin, ein in London ansässiger italienischer Opern-
sänger sowie ein Parlamentsabgeordneter ein. Auch in dieser Serie finden sich die
Künstler in Gesellschaft einer ziemlich heterogenen Gruppe, die dadurch zusammen-
gehalten wird, dass ihre Mitglieder im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.
Zwar ändert sich die Anzahl der in einer Nummer jeweils thematisierten Celebrities
immer wieder, mal sind es acht, mal auch nur zwei, doch niemals steht eine Celebrity
für sich allein. Im Sinne des für die Serie titelgebenden Plurals, ist stets mindestens
eine zweite Celebrity hinzukonstelliert, die in Erinnerung hält, dass man aus ver-
schiedenen Gründen berühmt werden kann. Im Format der Portraits of Celebrities
wird die serielle Konstellation verschiedener Sparten der Celebrity nicht nur im
Übergang von Heft zu Heft realisiert, sondern in jede einzelne Nummer hineinge-
nommen. Künstler finden in dieser zukunftsoffenen Serie regelmäßig ihren Platz. Als
erste Künstler tauchen im vierten Heft die Maler George Frederic Watts und John
Everett Millais, ihres Zeichens Mitglieder der Royal Academy, auf.66 Weiterhin hält es
der Strand mit den institutionell anerkannten Künstlern,67 die er dann aber zu anderen
Figuren der sozialen Elite konstelliert. Das Netzwerk differenziert sich hier noch
etwas und erstreckt sich von Militärs und Politikern über Schauspielerinnen und
Opernsänger bis hin zu Cricket-Spielern und Unternehmern. Sogar George Newnes,
Verleger des Strand, lässt sich in dieser Reihe sehen, um so den von ihm erreichten

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