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Wenn wir heute unsere Landwirtschaft beobachten und in die jüngere Vergangenheit
zurückschauen, kommen wir rasch zum Schluß, daß in unserer näheren Heimat der
Ackerbau entschieden den Vorrang vor der Viehzucht besitzt. Es wäre jedoch ein Fehl-
schluß, diesen Befund unbesehen in die weitere Vergangenheit zu übertragen. Viele Fin-
gerzeige weisen auf eine weit größere Rolle der Viehzucht im Seckenheim des Mittelalters
und der frühen Neuzeit hin. Das sind einmal die Flurnamen, die für das Niederfeld, die
Mallau und das Ried mehr Hinweise auf Viehzucht als auf Ackerbau geben. Die Rheinnie-
derung, die Überschwemmungszone des Neckars und die Feuchtgebiete der ehemaligen
Flußarme waren fast ausschließlich Weiden oder Wiesen. Allein das hintere Ried umfaßte
über 600 Morgen Wiesland; dazu kam das halb so große vordere Ried und große Teile der
Mallau und des Niederfeldes, vor allem die Allmendstücke. Wir dürfen so 1200 - 1500
Morgen Wiesenland annehmen. Dann haben wir gesehen, daß die Einwohnerzahl Secken-
heims für die Größe der Gemarkung bis ins 18. Jahrhundert zu gering war, um einen
intensiven Ackerbau auf der ganzen Gemarkung zu ermöglichen. Ausgedehnte, vom Ort
weit entfernte Teile der Gemarkung wie die Mallau und das Ried boten sich geradezu zur
extensiven Nutzung als Viehweiden an.

Das bedeutete vor allem natürlich Rinderzucht im Sennereibetrieb. Der Flurname Pfingst-
berg [vgl. FIN 148] weist auf den pfingstlichen Viehaustrieb auf die Sommerweiden hin,
wo das Vieh bis zum Herbst (Michaeli am 29.9.) draußen blieb. Beim Neuburger Gut wird
1429 die Jahresabgabe von einem Malter Käse [66/6560] aus den klostereigenen Riedwie-
sen erwähnt, der nur in einer Sennerei in den Hirten- oder Sennhütten [vgl. FIN 179] her-
gestellt worden sein konnte. Wie wir das bei der Fleischochsenzucht des Herrengutes gese-
hen haben, wurde das Vieh im Winter in die Ställe genommen. Dafür wurde schon in der
Karolinger-Zeit das Grünland in Wiesen und Weiden unterschieden: Weiden dienten der
sommerlichen Beweidung, während die Wiesen der Heuproduktion für die Winterfütte-
rung der Rinder vorbehalten waren. Gerade das Weistum von 1481 enthält interessante
Hinweise auf Weidepflege, Wiesenbau und Heuproduktion, wie überhaupt die oben
beschriebene Hubgenossenschaft der 48 Stämme in erster Linie eine Weide- und Wiesenge-
nossenschaft war. Zu ihren Aufgaben gehörte der Wegebau, die Wiesenentwässerung
durch Abzugsgräben, um ein Versauern des Grases zu verhindern, und der Dammbau
gegen das Rheinhochwasser. Alles das deutet auf eine hochentwickelte genossenschaftlich
organisierte Viehhaltung bereits seit dem hohen Mittelalter hin.

Als Zugtiere verwendete man Ochsen oder Kühe nicht oder nur sehr selten, sondern Pfer-
de. Schon im 15. Jahrhundert wird immer wieder von Pferden gesprochen [67/812]. Beim
Heuholen aus dem hinteren Ried werden Bauern genannt, die mit 2,4 oder gar 6 Pferden
ins Heu fahren. Es handelte sich wohl um einen so großen Heuanfall, daß bis zu drei Fuhr-
werke zum Abtransport nötig waren. Wie der Flurname Füllenweide [185] zeigt, gab es
auch besondere Weiden für Jungpferde. Der Pferdebestand bildete wohl einen besonderen
Stolz Seckenheims. Er war so umfangreich, daß die eigenen großen Weideflächen nicht
ausreichten. So wurde zwischen der Gemeinde Seckenheim und dem Domkapitel von
Worms 1609 ein Vertrag geschlossen, demzufolge die Seckenheimer jedes Jahr vom 23.4.
bis Ende Mai ihre Pferde auf der „Morscher Au" bei Frankenthal weiden durften [43/233
vom 11.4.1609]. Diese Morscher Au gehörte dem Wormser Domkapitel. Dazu paßt gut
der Bericht des Schultheißen Veiten-Volz von 1651, daß vor dem Krieg in Seckenheim
„130 wohnhafte Männer 250 pferd im pflüg geführet" hätten; 1651 waren es dann nur
noch 50 bei 24 wohnhaften Männern [229/96436].

Ein weiterer bedeutender wirtschaftlicher Faktor war die Schafzucht, die auch schon in
der Lorscher Zeit geblüht hatte. Es ist wohl so zu sehen, daß jeder Hof einige Schafe hatte,

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