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F. Die badische Zeit seit 1803

1. Gemeinde und Staat

1.1. Der Ortsvorstand

Der neue badische Staat, der aus Teilen verschiedenster Herkunft zusammengestückelt
worden war, mußte alles daran setzen, diese disparaten Teile zu einem Ganzen zu verbin-
den. In dem langjährigen Verschmelzungsprozeß spielte die Umformung der Gemeinde-
verfassung eine zentrale Rolle. Dabei wurden die überkommenen alten Gemeindeorgane
nicht nur umbenannt, sondern auch inhaltlich verändert. Die wichtigsten Gesetze und Ver-
ordnungen auf diesem Weg waren das „Organisationsreskript" vom 26. 11. 1809 und das
„Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden" vom 31. 12. 1831, das am
23. 4. 1832 in Kraft trat und die Gemeindereform abschloß.

Durch das Organisationsreskript verloren Schultheiß und Gericht ihre alten Rechtspre-
chungsaufgaben weitgehend. Der Schultheiß, der zum Zeichen seiner richterlichen Würde
bei den Sitzungen des Gerichtes einen weißen Stab, den „Schulzenstock", geführt hatte,
büßte nicht nur dieses altehrwürdige Symbol ein, sondern auch seine überkommene Amts-
bezeichnung. Er hieß vom 1.1.1810 an „Vogt" [aus lat. „advocatus" = Beauftragter]. In
diesem neuen Titel wurde die Änderung seiner Funktion von dem Gerichtsvorsitzenden
der ersten Instanz zum Verwaltungsorgan der Regierung deutlich. Die Rechtsprechung
wurde nun auf die neuen, nur von Juristen besetzten Gerichte in den Amts- und Kreisstäd-
ten übertragen. Nur noch Reste davon verblieben auf einige Zeit beim Vogt. So konnte er
noch bis 1823 bei kleinen Feld- und Gartendiebstählen die „Geigenstrafe" (Prangerstehen
mit der Halsgeige) verhängen, oder er konnte bis 1815 die Namen von Übeltätern am örtli-
chen „Schandpfahl" anschlagen lassen. Vogt Seitz ließ den hiesigen Schandpfahl vom Rat-
haus an sein eigenes Wohnhaus, den ehemaligen Braunen Hirschen Hauptstraße 108, ver-
setzen. Auch das alte Zentgericht mit dem Zentgalgen in Kirchheim war 1811 dieser
Reform zum Opfer gefallen und damit das Amt der Zentschöffen.
In der Gemeindeordnung von 1831 wurde schließlich aus dem Vogt der „Bürgermeister".
Dieser Titel hatte früher den von der Gemeinde gewählten Rechner oder Rentmeister
bezeichnet. Der neue Bürgermeister wurde nun als Ortsvorstand nicht mehr von der Regie-
rung ernannt, sondern von den „Stimmbürgern" gewählt. Er wurde damit zu ihrem Reprä-
sentanten. Gewählt war, wer die absolute Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Wahl-
berechtigten erhalten hatte. Kam diese Mehrheit nicht zustande, mußte der Wahlgang zwei-
mal wiederholt werden, ohne daß eine Stichwahl vorgesehen war. Bei endgültigem negati-
vem Ausgang ernannte das Innenministerium einen kommissarischen Amtsverwalter für
höchstens zwei Jahre, innerhalb derer Neuwahlen stattzufinden hatten. Die Wahlperiode
dauerte 6 Jahre mit der Möglichkeit mehrmaliger Wiederwahl. Das Amt des Bürgermeisters
war ein Ehrenamt, für das eine relativ geringe Aufwandsentschädigung ausgeworfen wur-
de. Erst in der Gemeindeordnung von 1921 wurde von diesem Honoratiorenprinzip abge-
gangen, um auch Unbemittelten die Bewerbung um dieses Amt zu ermöglichen.

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