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1. Einleitung

„II faut eclairer l'histoire par les loix,
et les loix par l'histoire."1

Die Lex Salica ist das Rechtsbuch der Franken. Ihre Niederschrift datiert in die
Zeit, bevor Chlodwig in den Jahren um 500 das Frankenreich zur neuen hege-
monialen Macht in Gallien machte. Während sein Vater Childerich noch in der
unbedeutenden nordostgallischen Stadt Tournai zu Grabe getragen worden war,
ließ sich Chlodwig in der Pariser Apostelkirche bestatten, in der Mitte des neuen
Königreichs, das große Teile Galliens umspannte. Seine Nachfolger vollendeten
das Werk Chlodwigs und dehnten die Macht der Franken bis zum Mittelmeer
sowie bis ins Land der Thüringer und Baiuwaren aus. Im 6. Jahrhundert wurde
das Frankenreich zum mächtigsten Nachfolgereich des weströmischen Imperi-
ums.
Das Rechtsbuch der Franken lässt diesen Aufstieg jedoch nicht erahnen. Die
Lex Salica erinnert vielmehr durch die kleinräumige agrarische Lebenswelt, die
archaischen und bisweilen bizarren Rechtsrituale, die wenig ausgeprägte ge-
setzgeberische Kompetenz des Königtums und durch die Abwesenheit des
Christentums an jene Zeit, als die Franken noch am äußersten Rand der römi-
schen Weit gelebt hatten. Unter den vielen Kodifikationen, die auf dem Boden
des ehemals weströmischen Reichs entstanden, sticht das fränkische Rechtsbuch
zudem durch ein weiteres Merkmal hervor: Es war vom römischen Recht und
von römischer Jurisprudenz fast gänzlich unberührt geblieben. Die Franken
wollten sich im Unterschied zu den Goten und Burgundern dieses einzigartigen
Herrschaftsinstruments nicht bedienen, das wie kaum ein anderes die europäi-
sche Geschichte geprägt hat.
Das Rechtsbuch war somit für die glorreiche Zukunft der Franken schlecht
geeignet. Trotzdem wurde es nie verdrängt, es blieb vielmehr über Jahrhunderte
hinweg ein zentraler Bezugspunkt fränkischer Identität. Vom 6. bis ins 9. Jahr-
hundert wurde es in fünf Redaktionen bearbeitet, die das Material neu anord-
neten, aber keine substantiellen Änderungen am Umfang oder Inhalt des
Rechtsbuchs vornahmen. Aus der Zeit Karls des Großen datiert eine Überset-
zung in die fränkische Volkssprache. Im 9. Jahrhundert ist die Lex Salica mit 54
Handschriften das am häufigsten überlieferte weltliche Rechtsbuch. Auch nach
dem Ende des karolingischen Frankenreichs identifizierten sich Personen

1 Montesquieu, L'esprit des lois XXXI, 2, Bd. IV, S. 118.
 
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