Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
7. Transformation und Untergang des
fränkischen Rechts

„Recht muss doch Recht bleiben";
aber auch nur Recht bleiben wollen.1

Im 9. Jahrhundert ist mit 54 Handschriften der Höhepunkt in der Überlieferung
des fränkischen Rechtsbuchs zu verzeichnen. Zur gleichen Zeit veränderte sich
die kulturelle und soziale Bedeutung der Lex Salica so dramatisch, dass es ge-
rechtfertigt ist, vom Untergang des fränkischen Rechts zu sprechen. Diese Ver-
änderungen können am besten durch eine unscheinbare, aber (wie ich zu zeigen
hoffe) sehr aussagekräftige Glosse veranschaulicht werden. In einer Reimser
Handschrift aus dem Ende des 9. Jahrhunderts sind folgende Worte an den Rand
geschrieben: Haec capitula a Karolo primo et Pipino filio eins inter leges Francorum
recepta et posita sunt.2 „Diese Kapitel sind von Karl I. und seinem Sohn Pippin in
die Rechte der Franken aufgenommen und erlassen worden." Es ist der Schreiber
selbst, der diese Worte notiert hat, um dem an dieser Stelle kopierten Text eine
besonders hohe Autorität zu verleihen. Um es gleich zu Beginn vorwegzuneh-
men: Dieser Text ist kein authentischer Herrschererlass Karls des Großen oder
seines Sohnes Pippin. Das am Beginn der Seite stehende Incipit gibt den Inhalt
korrekt wieder: „Es beginnen die kurz umrissenen Tituli legum aus dem Corpus
des Theodosius."3 Es handelt sich somit um ein Exzerpt aus dem römischen
Recht, welches sich u.a. mit Gesetzgebung, Rechtsprechung, Eherecht und
Strafrecht beschäftigt. Dass der Schreiber nicht bloß aus einem antiquarischem
Interesse heraus diese römischen Rechtssätze kompilierte, erkennt man an dem
engen Zusammenhang mit Themen, die zur gleichen Zeit am Hof der west-
fränkischen Karolinger und auf den Synoden der Reimser Erzbischöfe diskutiert
wurden.
Warum ist diese Glosse aussagekräftig für die Geschichte des fränkischen
Rechtsbuchs? Bemerkenswert ist nicht die römisch-rechtliche Kompilation an
sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie der Randglosse zufolge in das
fränkische Recht aufgenommen worden sei. Franken, die nach römischem Recht
leben, ist dies nicht ein Widerspruch? Wie die vorangegangenen Kapitel deutlich

1 Droysen, Historik § 75, S. 33, mit Zitat von Ps. 94, 15.

2 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, A 46 inf., fol. 152r. Vgl. hierzu Trump, Exzerpt.

3 Incipiunt tituli legum ex corpore theodosiani breviter succincti. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, A 46
inf., fol. 152r.
 
Annotationen