Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0105
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
104

Entwürfe von Gemeinschaft im 6. Jahrhundert

Pactus, Capitulare tertium, Edictus, Capitulare quintum und Decretio aufzugeben.
Vielmehr ist festzuhalten, dass die anonymen Zusatztexte in den Handschriften
stets vor den Herrschererlassen standen. Es erscheint folglich plausibel, von einer
zeitlichen Priorität der Zusatztexte auszugehen. Diese These wird durch eine
inhaltliche Analyse, die unten folgen wird, bestätigt. Das Capitulare quintum ist
offensichtlich der älteste Text, denn er enthält sowohl die Zählung in Denare und
solidi als auch an zwei Stellen neue fränkische Glossen.24 Darüber hinaus taucht
als königlicher Amtsträger allein der aus der Lex Salica bekannte Graf (graphio)
auf.25 Im Capitulare primum sind dagegen die altertümlichen Eigenheiten der Lex
eliminiert, während als neues königliches Amt der iudex erwähnt wird.26 Das
Capitulare tertium zeigt dagegen bereits eine abstrakte Auffassung der fränki-
schen Amtsträger, indem es iudex als Oberbegriff verwendet und graphio und
comes als äquivalente Bezeichnungen auffasst.27 Wie später noch ausführlicher zu
zeigen sein wird, setzt dieses Capitulare die Verschärfung der Bestrafung des
Frauenraubs voraus, die durch Childebert I. und Chlothar I. in einem verlorenen
Herrschererlass dekretiert wurde. Im Unterschied zu Eckhardt halte ich daher
die zeitliche Priorität aller Zusatztexte vor den eigentlichen Edikten für wahr-
scheinlich:
1. Capitulare quintum
2. Capitulare primum (primus rex28)
3. Capitulare tertium (Childebert I. / Chlothar I.)
4. Pactus pro tenore pacis (Childebert I. und Chlothar I.)
5. Edictus Chilperici (Chilperich I.)
6. Decretio Childeberti (Childebert II.)
Die Ergänzung der Lex Salica durch Herrschererlasse wird begleitet durch zwei
vollständige Überarbeitungen: die sogenannte C-Fassung und die Lex Ribuaria.
Die C-Fassung ist durch den kurzen Prolog und durch die Erweiterung um ganze
76 Kapitel gekennzeichnet, was ungefähr ein Sechstel des gesamten Umfangs der
Lex Salica ausmacht. Der Inhalt dieser Zusätze ist jedoch in den meisten Fällen
wenig spektakulär: Meist wird nur die bestehende Kasuistik des Rechtsbuchs auf
weitere, bislang nicht abgedeckte Fälle ausgedehnt. Für eine Datierung lassen
sich deshalb nur wenige Anhaltspunkte finden. Die Zuschreibung an König
Gunthram (561-592), für die Eckhardt eintrat, scheint allerdings allein deshalb
ausgeschlossen, weil dieser König über das burgundische Teilreich, und nicht
über das in der Lex Salica erwähnte Territorium herrschte.29 Zu dieser These war
Eckhardt deswegen gelangt, weil er mit Asclepiodotus einen königlichen Notar

24 Lex Salica (K17) 124, S. 265; 127, 2, S. 266.

25 Lex Salica (K17) 130, 2, S. 266.

26 Lex Salica (A1K17) 73, 1, S. 242; 75, 2, S. 247. Vgl. Guttenberg, Iudex, S. 96-98.

27 Lex Salica (A1K17) 100, 1, S. 256; 102, 1, S. 258.

28 Der Epilog, sofern er sich auf das Capitulare primum bezieht, schreibt diesen Text dem primus rex
Francorum zu: Lex Salica (A2K17), S. 253. Hierzu siehe oben S. 56-58.

29 Zum Teilreich Gunthrams vgl. Ewig, Teilreiche, S. 135-138. Ausführlich zu Eckhardts Argu-
mentation vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 177 f.
 
Annotationen