Motivation und historischer Kontext
161
Die offizielle Chronistik berichtet Siege über Siege. Im Jahr 763 versammelte
sich das Heer in Nevers, überquerte die Loire und drang bis nach Limoges vor.139
Die ganze Region wurde verwüstet, bis Waifar aus der Deckung kam und mit
baskischer Hilfe das fränkische Heer überfiel. „Nach der Sitte der Basken flohen
sie jedoch alsbald, und viele wurden von den Franken niedergemetzelt. ...
Waifar und einige wenige konnten kaum entkommen. ... König Pippin war mit
Gottes Hilfe Sieger."140 So überwältigend, wie es die Chronik vom Hof Pippins
schildert, kann der Sieg jedoch nicht ausgefallen sein.141 Denn im folgenden Jahr,
als Pippin im Mai 764 eine Reichsversammlung in Worms abhielt, konfrontierte
ihn Waifar mit hohen Forderungen. Der Herzog würde die Oberherrschaft
Pippins akzeptieren und wie seine Vorfahren jährliche Tribute abliefern, wenn
der König die Stadt Bourges und andere von ihm eingenommene Orte zurück-
gibt.142 Waifar konnte offenbar Bedingungen stellen, die Kriege hatten ihn kei-
nesfalls in die Knie gezwungen. Pippin seinerseits lehnte nach Beratung mit
seinen Großen das Friedensangebot ab. Vielmehr startete der König eine neu-
artige diplomatische Initiative, indem er aus Worms eine Gesandtschaft zum
abbasidischen Kalifen nach Bagdad schickte. Sein Ziel war es, ein gemeinsames
Bündnis gegen das Emirat von Cordoba und den Herzog von Aquitanien zu
schließen.143
Der Konfliktherd Aquitanien war also keineswegs beruhigt, als sich ein
neues Problem am anderen Rand des Frankenreichs auftat. Während des
Kriegszugs von 763 verließ der Bayernherzog das Heer und kehrte in sein Her-
zogtum zurück.144 Angeblich fasste er den Entschluss, niemals mehr das Antlitz
des Königs zu sehen. Vieles an dieser Nachricht ist umstritten. Dass die fränki-
schen Reichsannalen dieses Ereignis bewusst benutzten, um einen Rechtsfall der
Fahnenflucht zu konstruieren, der später zur Aburteilung Tassilos herangezogen
wurde, hat Matthias Becher unter Beweis gestellt.145 Dennoch sind in diesem Jahr
deutliche Spannungen zwischen Pippin und Tassilo zu erkennen146, die sich auch
in der Korrespondenz zwischen dem Papst und dem fränkischen König nie-
derschlugen. Paul I. versicherte brieflich, dass er nicht mit den Feinden des Kö-
nigs gemeinsame Sache machen, sondern sie ebenso als seine Feinde betrachten
würde.147 Die beiden folgenden Jahre vergingen ohne Feldzug, nachdem der
kalte Winter des Jahres 763/764 und eine folgende Hungersnot die Ressourcen
dafür vernichtet hatten.
Der zeitgeschichtliche Kontext der Neufassung der Lex Salica war somit
voller Spannungen. Wenn wir der Datierung von D7 Glauben schenken wollen,
bietet sich die Reichsversammlung von Worms im Jahr 764 als Rahmen an, da
139 Continuationes chronicarum quae dicuntur Fredegarii 47, S. 189.
140 Ebd. S. 189f.
141 In diesem Sinn McCormick, Pippin III, S. 238.
142 Continuationes chronicarum quae dicuntur Fredegarii 47, S. 190.
143 McCormick, Pippin III, S. 238-240.
144 Annales regni Francorum a. 763, S. 20. BM2 nr. 96d.
145 Becher, Eid und Herrschaft, S. 21-77, sowie nochmals ders., Macht und Recht.
146 Jahn, Ducatus Baiuvariorum, S. 372; Depreux, Tassilon III, S. 62-64.
147 Codex Carolinus 29, S. 534 und 36, S. 545.
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Die offizielle Chronistik berichtet Siege über Siege. Im Jahr 763 versammelte
sich das Heer in Nevers, überquerte die Loire und drang bis nach Limoges vor.139
Die ganze Region wurde verwüstet, bis Waifar aus der Deckung kam und mit
baskischer Hilfe das fränkische Heer überfiel. „Nach der Sitte der Basken flohen
sie jedoch alsbald, und viele wurden von den Franken niedergemetzelt. ...
Waifar und einige wenige konnten kaum entkommen. ... König Pippin war mit
Gottes Hilfe Sieger."140 So überwältigend, wie es die Chronik vom Hof Pippins
schildert, kann der Sieg jedoch nicht ausgefallen sein.141 Denn im folgenden Jahr,
als Pippin im Mai 764 eine Reichsversammlung in Worms abhielt, konfrontierte
ihn Waifar mit hohen Forderungen. Der Herzog würde die Oberherrschaft
Pippins akzeptieren und wie seine Vorfahren jährliche Tribute abliefern, wenn
der König die Stadt Bourges und andere von ihm eingenommene Orte zurück-
gibt.142 Waifar konnte offenbar Bedingungen stellen, die Kriege hatten ihn kei-
nesfalls in die Knie gezwungen. Pippin seinerseits lehnte nach Beratung mit
seinen Großen das Friedensangebot ab. Vielmehr startete der König eine neu-
artige diplomatische Initiative, indem er aus Worms eine Gesandtschaft zum
abbasidischen Kalifen nach Bagdad schickte. Sein Ziel war es, ein gemeinsames
Bündnis gegen das Emirat von Cordoba und den Herzog von Aquitanien zu
schließen.143
Der Konfliktherd Aquitanien war also keineswegs beruhigt, als sich ein
neues Problem am anderen Rand des Frankenreichs auftat. Während des
Kriegszugs von 763 verließ der Bayernherzog das Heer und kehrte in sein Her-
zogtum zurück.144 Angeblich fasste er den Entschluss, niemals mehr das Antlitz
des Königs zu sehen. Vieles an dieser Nachricht ist umstritten. Dass die fränki-
schen Reichsannalen dieses Ereignis bewusst benutzten, um einen Rechtsfall der
Fahnenflucht zu konstruieren, der später zur Aburteilung Tassilos herangezogen
wurde, hat Matthias Becher unter Beweis gestellt.145 Dennoch sind in diesem Jahr
deutliche Spannungen zwischen Pippin und Tassilo zu erkennen146, die sich auch
in der Korrespondenz zwischen dem Papst und dem fränkischen König nie-
derschlugen. Paul I. versicherte brieflich, dass er nicht mit den Feinden des Kö-
nigs gemeinsame Sache machen, sondern sie ebenso als seine Feinde betrachten
würde.147 Die beiden folgenden Jahre vergingen ohne Feldzug, nachdem der
kalte Winter des Jahres 763/764 und eine folgende Hungersnot die Ressourcen
dafür vernichtet hatten.
Der zeitgeschichtliche Kontext der Neufassung der Lex Salica war somit
voller Spannungen. Wenn wir der Datierung von D7 Glauben schenken wollen,
bietet sich die Reichsversammlung von Worms im Jahr 764 als Rahmen an, da
139 Continuationes chronicarum quae dicuntur Fredegarii 47, S. 189.
140 Ebd. S. 189f.
141 In diesem Sinn McCormick, Pippin III, S. 238.
142 Continuationes chronicarum quae dicuntur Fredegarii 47, S. 190.
143 McCormick, Pippin III, S. 238-240.
144 Annales regni Francorum a. 763, S. 20. BM2 nr. 96d.
145 Becher, Eid und Herrschaft, S. 21-77, sowie nochmals ders., Macht und Recht.
146 Jahn, Ducatus Baiuvariorum, S. 372; Depreux, Tassilon III, S. 62-64.
147 Codex Carolinus 29, S. 534 und 36, S. 545.