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Motivation und historischer Kontext

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Gesetze und Rechtsbücher wurden auf Reichsversammlungen verkündet, auf
denen der König auf die Führungsschicht seines Reichs traf und die gemein-
wohlorientierte und konsensuale Natur seiner Herrschaft unter Beweis stellen
musste.150 Durch die Erneuerung der Lex Salica zeigte Pippin, dass das Zusam-
menwirken von Königtum und Aristokratie, das im langen Prolog der Lex Salica
eindrucksvoll festgehalten wurde, weiterhin Gültigkeit beanspruchen würde.
Indem die drakonische Decretio Childeberts II. als Begleittext aufgenommen
wurde, obwohl der Epilog den Pactus pro tenore pacis erfordert hätte, wird zudem
angedeutet, dass der König zur Fortschreibung des Rechts legitimiert war und
die Macht über Leben und Tod in Händen hielt. Pippin nahm damit die Rolle des
Gesetzgebers für sich in Anspruch und war der erste König seit über 130 Jahren,
der wieder durch Edikte in das weltliche Recht des Frankenreichs eingegriffen
hat.
Ich möchte daher betonen, dass die Neuausgabe der Lex Salica nicht nur als
Produkt von Ideologie oder königlicher Repräsentation zu werten ist. Die nor-
mative Qualität des Rechtsbuchs, d. h. die Tatsache, dass die Lex Salica das Ver-
hältnis zwischen Aristokratie und Königtum, die Freiheit und Sonderstellung
der Franken, die konsensuale Natur der Herrschaft sowie die gesetzgeberische
Kompetenz des Königtums zum Ausdruck brachte, war wesentlich für ihre
kulturelle Bedeutung. Pippin betonte damit die Kontinuität seines Königtums
mit der langen Herrschaft der Merowinger und verdeckte den dramatischen
Umbruch, den der Dynastiewechsel von 751 darstellte. Für diesen Zweck wurde
das Rechtsbuch als „ewig" und „authentisch" (B. Pascal) hingestellt.

150 Nelson, Rulers, S. 124: Assemblies were „the one thing that held political systems together";
Reuter, Assembly politics.
 
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