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Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0238
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Der Wortlaut der Lex Salica im 9. Jahrhundert

237

Erben betrachtet, sondern sie sollen durch Infamie gebrandmarkt
werden.76
Die Komplexität des Titels rührt daher, dass diese Regelung ursprünglich
aus dem römischen Recht stammt und im 6. Jahrhundert in die Lex Salica auf-
genommen wurde. Mit der Infamie, der Vorstellung legitimer Erbschaft und mit
dem Konzept einer durch weltliche Amtsträger verordneten Ehetrennung wer-
den Vorstellungen zum Ausdruck gebracht, die im Rahmen der Lex Salica
durchaus ungewöhnlich waren. Trotz dieser Eigenheiten ist der Textbestand in
den 44 Handschriften aus dem 9. und 10. Jahrhundert, die diese Regelung
überliefern, erstaunlich stabil.77 Nur eine Handschrift produzierte einen offen-
sichtlichen Unsinn, indem statt infamia die Wörter in familia zu lesen sind.78 Die
Hälfte aller Textzeugen enthält dagegen überhaupt keine sinnstörende Abwei-
chung, bei der anderen Hälfte rühren die Varianten zumeist von Versuchen her,
dem Text einen neuen oder besseren Sinn abzugewinnen. Einer Reihe von neun
Textzeugen erscheint die Trennung der Ehe als eine für ein weltliches Rechtsbuch
unpassende Strafe. Sie ersetzen daher ut durch aut und übertragen damit die
Strafe der vorangegangenen Regelung, die Zahlung von 30 solidi, auf das In-
zestverbrechen.79 Eine andere Gruppe von Handschriften stößt sich am voll-
ständigen Ausschluss der Kinder vom Erbe. Dass damit eigentlich unschuldige
Personen bestraft werden, veranlasste bereits Justinian im Jahr 534 zu seiner
12. Novelle.80 Sieben Textzeugen fügen daher ein non ein, wodurch legitime
Erben nur dann von der Erbschaft ausgeschlossen werden, wenn keine Kinder
vorhanden waren.81 Es ist erstaunlich, dass ganze sechs Handschriften dieses non
wieder nachträglich durch Rasur auf dem Pergament tilgen und daher den Text
wieder richtigstellen.82
Ingesamt bleibt als bemerkenswertes Resultat festzuhalten, dass über ein
Drittel der 44 Handschriften Korrekturen und Rasuren aufweisen. Damit wird
das Bemühen der Kopisten deutlich unterstrichen, einen lesbaren und ver-
ständlichen Text zu überliefern. Erklärende Glossen sind dagegen selten. Eine
deutlich spätere Hand in Paris, lat. 10758 glaubt die Infamie durch die Wörter

76 Siquis sororem aut fratris filiam aut certe alterius gradus consubrinam autfratris uxorem aut avunculi
sceleratis nuptiis sibi iunxerit, huic poenae subiaceat, ut a tali consortio separetur. Atque etiam si filios
habuerint, non habeantur legitimi heredes, sed infamia sint notati. Lex Salica (K) 14, 16, S. 63. Im
Originaltext des Breviars bezieht sich die Infamie auf die Eheleute. In der Lex Salica ist der
Wortlaut so gekürzt, dass es scheint, als ob die Kinder mit Infamie bestraft werden sollten.

77 Einige Handschriften sind fragmentarisch, andere wie Ivrea, 33 (K77) und Paris, lat. 4788 (K43)
nicht mehr lesbar. Die kritische Edition ist abrufbar unter http://www.leges.uni-koeln.de/ma-
terialien/transkriptionen.

78 Wolfenbüttel, Gud. 327, fol. 15r.

79 ... huic poenae subiaceat aut a tali consortio separetur... in: Bern, 442; Paris, lat. 4626; Kopenhagen,
1943; Wolfenbüttel, Gud. 299; Vatikan, Reg. 1036; Paris, lat. 3182; Cambrai, 625; Paris, lat. 4628.

80 Novella 12, 1, S. 95. Vgl. Ubl, Inzestverbot, S. 68 f.

81 St. Paul, 4/1; Paris, lat. 4417; Paris, lat. 4630 (15. Jh.); Paris, lat. 18238; Wolfenbüttel, 50.2. Aug.;
Vatikan, Reg. 857; Besangon, 1348.

82 Paris, lat. 4418; Paris, lat. 4759; Paris, lat. 10753; Paris, lat. 4789; Vatikan, Reg. 338; Vatikan,
Reg. 991.
 
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