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J. Rudolf Rahn:
thront der Weltenrichter, Schwert und Lilie gehen von seinem Munde aus.
Zur Rechten Christi sitzt die Madonna. Ein Chor von hl. Frauen bildet ihr
Gefolge. Gegenüber kniet der Täufer Johannes an der Spitze der Apostel und
einer Schaar von hl. Männern. Ueber dem Heilande schweben Engel mit den
Passionsinstrumenten, andere, zu seinen Füssen, verkünden mit Posaunenschall
den Beginn des Gerichtes, zu dem sich unten die figurenreichen Gruppen der
Seligen und Verdammten, letztere mit unverkennbaren Anklängen an Michel-
angelo’s jüngstes Gericht, versammelt haben. Die Langwände sind in dop-
pelter Folge mit Einzelfiguren geschmückt. Oben zwischen den Fenstern sind
auf weissem Grunde, ohne Umrahmung, die überlebensgrossen Gestalten der
Apostel gemalt. Die unteren Wandflächen sind mit jonischen Pilastern ge-
schmückt, vor welchen, äusser den Kirchenvätern, auf der Nordseite, gelb in
Gelb gemalt, die allegorischen Gestalten der Laster und gegenüber die Personifi-
cationen der Tugenden stehen : Superbia, ein Weib mit einer Schlange in der
Rechten, eine andere windet sich zum Munde heraus; Avaritia mit dem Geld-
beutel und der Inschrift: »chi troppo ama l’dinar molto s’ingana«; Gola —
die Völlerei — ein Weib, das, neben einem Schweine stehend, einen Schenkel
entblösst: »gola noce al corpo e molta (sic) piü a l’anima«. Gegenüber
schützt die Caritas drei Kinder, Speranza betet und in der Flamme, die neben
ihr lodert, steht ein Vogel (der Phönix?). Fede hält das Kreuz und den
Hostienkelch, zu ihren Füssen ruht ein Lamm. Die Fronten der Vorlagen,
welche den Chorbogen tragen, sind mit den Gestalten des hl. Bischofs Martin
und des hl. Abtes Antonius geschmückt. Eine Inschrift über dem ersteren
gibt den Namen des Stifters und die Entstehungszeit dieser Malereien an 34).
Dasselbe Datum 1589 ist zu Häupten des hl. Antonius wiederholt.
Gewöhnlichen Schlages und dazu übermalt sind auch die Bilder, welche
Batista Tarilli und sein Sohn Cipriano in der Kirche von Villa-Bedretto
hinterlassen haben. Aussen an der westlichen Langwand des Schiffes sieht
man die ziemlich barocke Darstellung des hl. Christophorus, auf dessen Schulter
das Knäblein rittlings sitzend die Weltkugel emporhält. Innen ist dieselbe
Wand mit einem Abendmahlsbilde geschmückt. Dem einschiffigen Langhause
folgt in gleicher Breite der Chor. Er ist mit vier quadratischen Kreuzgewöl-
ben bedeckt, als Mittelstützen fungiren zwei Säulen und ein Pfeiler, neben
welchem beide Gänge ihren Abschluss durch ein dreiseitiges Halbpolygon
erhalten 35). Hier im Chore sind nur die Gewölbe bemalt. Der Schmuck des
34) IACOBO . DE . NELLO . DE . GIAN. | D’AMBROGIO . DAL . TIRO(lo) .
AN: | CHORA . LVI . ANHAND . DI . S: | PELLEGRINO . A . NOME . DE . LA . |
GESIA . HA . FATTO . DEPINGER | NEL . ANNO . 1589. Tirolo ist der Name
eines bei Giornico gelegenen Dörfchens. Anziano = administratore annuale di
chiesa.
S5) Diese eigenthümliche zweischiffige Form der Choranlage, sonst mit hori-
zontalem Abschlüsse versehen, findet sich im Sopra Ceneri noch öfters wiederholt:
in den vermuthlich ebenfalls zu Ende des 16. Jahrhunderts umgebauten Kirchen von
Mairengo und Chiggiogna im Livinenthal und der Kirche von Campo im BleniothaL
Vgl. auch Züricher Taschenbuch 1887, S. 29.
J. Rudolf Rahn:
thront der Weltenrichter, Schwert und Lilie gehen von seinem Munde aus.
Zur Rechten Christi sitzt die Madonna. Ein Chor von hl. Frauen bildet ihr
Gefolge. Gegenüber kniet der Täufer Johannes an der Spitze der Apostel und
einer Schaar von hl. Männern. Ueber dem Heilande schweben Engel mit den
Passionsinstrumenten, andere, zu seinen Füssen, verkünden mit Posaunenschall
den Beginn des Gerichtes, zu dem sich unten die figurenreichen Gruppen der
Seligen und Verdammten, letztere mit unverkennbaren Anklängen an Michel-
angelo’s jüngstes Gericht, versammelt haben. Die Langwände sind in dop-
pelter Folge mit Einzelfiguren geschmückt. Oben zwischen den Fenstern sind
auf weissem Grunde, ohne Umrahmung, die überlebensgrossen Gestalten der
Apostel gemalt. Die unteren Wandflächen sind mit jonischen Pilastern ge-
schmückt, vor welchen, äusser den Kirchenvätern, auf der Nordseite, gelb in
Gelb gemalt, die allegorischen Gestalten der Laster und gegenüber die Personifi-
cationen der Tugenden stehen : Superbia, ein Weib mit einer Schlange in der
Rechten, eine andere windet sich zum Munde heraus; Avaritia mit dem Geld-
beutel und der Inschrift: »chi troppo ama l’dinar molto s’ingana«; Gola —
die Völlerei — ein Weib, das, neben einem Schweine stehend, einen Schenkel
entblösst: »gola noce al corpo e molta (sic) piü a l’anima«. Gegenüber
schützt die Caritas drei Kinder, Speranza betet und in der Flamme, die neben
ihr lodert, steht ein Vogel (der Phönix?). Fede hält das Kreuz und den
Hostienkelch, zu ihren Füssen ruht ein Lamm. Die Fronten der Vorlagen,
welche den Chorbogen tragen, sind mit den Gestalten des hl. Bischofs Martin
und des hl. Abtes Antonius geschmückt. Eine Inschrift über dem ersteren
gibt den Namen des Stifters und die Entstehungszeit dieser Malereien an 34).
Dasselbe Datum 1589 ist zu Häupten des hl. Antonius wiederholt.
Gewöhnlichen Schlages und dazu übermalt sind auch die Bilder, welche
Batista Tarilli und sein Sohn Cipriano in der Kirche von Villa-Bedretto
hinterlassen haben. Aussen an der westlichen Langwand des Schiffes sieht
man die ziemlich barocke Darstellung des hl. Christophorus, auf dessen Schulter
das Knäblein rittlings sitzend die Weltkugel emporhält. Innen ist dieselbe
Wand mit einem Abendmahlsbilde geschmückt. Dem einschiffigen Langhause
folgt in gleicher Breite der Chor. Er ist mit vier quadratischen Kreuzgewöl-
ben bedeckt, als Mittelstützen fungiren zwei Säulen und ein Pfeiler, neben
welchem beide Gänge ihren Abschluss durch ein dreiseitiges Halbpolygon
erhalten 35). Hier im Chore sind nur die Gewölbe bemalt. Der Schmuck des
34) IACOBO . DE . NELLO . DE . GIAN. | D’AMBROGIO . DAL . TIRO(lo) .
AN: | CHORA . LVI . ANHAND . DI . S: | PELLEGRINO . A . NOME . DE . LA . |
GESIA . HA . FATTO . DEPINGER | NEL . ANNO . 1589. Tirolo ist der Name
eines bei Giornico gelegenen Dörfchens. Anziano = administratore annuale di
chiesa.
S5) Diese eigenthümliche zweischiffige Form der Choranlage, sonst mit hori-
zontalem Abschlüsse versehen, findet sich im Sopra Ceneri noch öfters wiederholt:
in den vermuthlich ebenfalls zu Ende des 16. Jahrhunderts umgebauten Kirchen von
Mairengo und Chiggiogna im Livinenthal und der Kirche von Campo im BleniothaL
Vgl. auch Züricher Taschenbuch 1887, S. 29.