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JERZY II.KOSZ

DIE JAHRHUNDERTHALLE IN BRESLAU DAS WERK MAX BERGS

Zusammenfassung

Der 1908 in der lokalen Kulturzeitschrift „Schlesien" verôffentlichte Artikel von Karl Masner, dem Direktor des Breslauer
Muséums fur Kunsthandwerk und Altertiimer, lôste eine Diskussion iiber die Einrichtung eines modernen Ausstellungsgelàndes
und den Bau einer Ausstellungshalle in Breslau aus. Ein hervorragender AnlaB fur die Realisierung eines solchen Projekts sei, so
Masner, der hundertste Jahrestag des „Aufrufs.an mein Volk'\ den Kônig Friedrich Wilhelm III. 1813 in Breslau verkiindet hatte.
Masners Idee fand Anklang, und kurz darauf beschloB der Breslauer Magistrat, diesem Ereignis eine groBe Jubilaumsausstellung
zu widmen. Zur Ausfuhrung des Unternehmens wurden der neue Stadtbaurat Max Berg, der dieses Amt Ende 1909 iibernommen
hatte, und Hans Poelzig, der Direktor der Breslauer Akademie fur Kunst und Kunstgewerbe, herangezogen. Wàhrend der Planun-
gen zur Gestaltung des Ausstellungsgelàndes entbrannte eine lebhafte Diskussion iiber das 1910 von Berg vorgestellte Projekt der
Jahrhunderthalle und ihre Realisierung. Erst am 28. Juni 1911 genehmigte der Stadtrat den Bau der Halle und gab dafiir 1.800.000
Mark frei.

Die Jahrhunderthalle, der Hauptbau der Jahrhundertausstellung, bildete das Zentrum des Ausstellungsgelàndes im Nordo-
sten Breslaus, in Scheitnig. Der Bau lag im Schnittpunkt der Kompositionsachsen des Gelàndes. Sein GrundriB hat die Form eines
symmetrischen Vierpasses - Tetrakonchos, dessen innerer Kreis den Kuppelraum mit einem Durchmesser von 65 m bildet. Daran
schlieBen sich vier Apsiden in Form von Kreissegmenten an. Der Tetrakonchos, der einen Einheitsraum bildet, ist von einem
Umgang umgeben, der seinen GrundriB wiederholt. Die Halle ist, ahnlich wie ein Sakralbau, orientiert. Die Analyse des Grun-
drisses làBt darauf schlieBen, daB der Architekt ein Moduł verwendete, das annahernd dem Durchmesser des Kuppelansatzes
entspricht. Dièse GrôBe ist der Ausgangspunkt, von dem aus die iibrigen MaBe des Baus berechnet und bezeichnet wurden.

Eine analoge Entwurfskonzeption zeigt die Untersuchung der Konstruktion des Baus, die im Prinzip in zwei Zonen unterteilt
ist: in den tragenden Unterbau und die Kuppel. Dièse Teile sind konstruktiv voneinander unabhangig. Der tragende Teil besteht
aus dem System der vier Hauptstutzen, iiber denen sich die vier weitgespannten Arkaden der Apsiden ôffnen. Unmittelbar auf den
Arkaden lagert der Ring, der den Unterbau abschlieBt. An diesen wiederum schlieBt der Ring an, auf dem die Kuppel ruht. Die
beiden Ringe sind durch ein System von 32 Messinglagern verbunden. Dièse Anlage barg die Gefahr eines „Ausbrechens" der
Konstruktion; um dem entgegenzuwirken, wurde ein System von 24 Stiitzen, bestehend aus den Rippen der vier Apsiden, ange-
wandt. Diese Stiitzen entlasten zudem die Konstruktion der Kuppel, die auf jede der groBen Arkaden eine Last von etwa 1200
ausiibt. Die Kuppel mit ihrer leicht abgeflachten Schale wird von 32 Rippen gebildet, die auf dem genannten unteren Ring
aufliegen und oben von einem SchluBring zusammengehalten werden. Zwischen den Reifen, welche die Rippen zusammenspan-
nen, sind stufenfórmig ansteigend vier Fensterzonen angelegt, iiber denen jeweils ein flacher Deckenstreifen die Basis fur die
nàchste Stufe bildet. Aus den erhaltenen Archivalien geht hervor, daB Berg mehrere Versionen der Halle entwarf. Dennoch
stimmen bereits die ersten Skizzen in den wesentlichen Punkten mit dem realisierten Bau iiberein.

Die Entwiirfe Bergs wurden in der Regel von seinen Mitarbeitera im Stadtbauamt, u.a. spàter bekannt gewordenen Breslau-
er Architekten wie Richard Konwiarz und Paul Heim sowie dem Maler Hans Leistikow (Perspektiven und Ansichten) ins Reine
gezeichnet.

Es lassen sich mehrere Entwurfsetappen unterscheiden. Zu der ersten gehôren die Zeichnungen, die sich heute in Erkner bei
Berlin befinden. Vier davon sind datiert; sie stammen vom Februar, November und Dezember 1910. Signiert mit „Der Magistrat"
zeigen sie ein und denselben Entwurf und wurden in einem MaBstab ausgefiihrt. Die fiinfte Zeichnung, welche die Ansicht der
Halle aus einer ungewôhnlichen Perspektive zeigt, ist nicht datiert und unsigniert. Anhand einer stilistischen Analyse kann man
annehmen, daB sie gleichzeitig mit den beiden Zeichnungen vom Februar 1910 entstand; damit ware sie mit diesen der friiheste
bekannte Entwurf der Jahrhunderthalle. Stilistisch kniipft dieser Entwurf an die letzte Phase des Schaffens von Max Berg in
Frankfurt und an die ersten Breslauer Projekte an, in denen Berg sich fasziniert von den Ideen des Deutschen Bundes fur Heimat-
schutz zeigte. Er verband das neue Materiał des Eisenbetons mit stilistischen Elementen des Neobiedermeier, des Klassizismus
und dem sogenannten Heimatstil.

Diese vermutlich friihesten Zeichnungen lassen darauf schlieBen, daB der Architekt in der Anfangsphase unterschiedliche
KuppelmaBe in Erwâgung zog. Die Kuppel sollte dabei noch gigantischer ausfallen und eine grôBere Spannweite (ca 72-73 m)
aufweisen. In einigen Varianten war auch der Abstand zwischen den Apsiden gróBer geplant. In den Versionen vom November und
Dezember 1910 sollte die Hôhe der Halle 30 m betragen, daB heiBt 12 m weniger ais in der Ausfuhrung. Dieser Entwurf zeigt im
Vergleich mit anderen eine grôBere Klarheit und Sachlichkeit.

Es erscheint unwahrscheinlich, daB Berg versuchte, die Spannweite der Kuppel ins ÀuBerste zu steigern. Eine VergrôBerung
auf MaBe von iiber 100 m konnte zu dieser Zeit mit den Mitteln des Eisenbetonbaus nicht realisiert werden.

Die Gestaltung der Kuppelrippen der Breslauer Halle wiederholt die Struktur der Halle von Friedrich Thiersch in Frankfurt
am Main. Berg arbeitete zur Zeit der Errichtung der Halle von Thiersch ais Bauinspektor in Frankfurt, dadurch ergab sich diese
direkte EinfluBnahmc. Die Entwurfszeichnungen vom Dezember 1910, die den Innenraum und die Schnitte zeigen, lassen keinen
Zweifel aufkommen, daB Berg fur seine Halle eine Eisenbetonkonstruktion plante. Bei der Wahl des Materials spielte sicherlich
die Inspiration durch eine der ersten Eisenbetonkonstruktionen mit parabolischen Bogen in Europa eine Rolle, die in den Breslauer
Markthallen 1906-1908 nach dem Entwurf von Richard Pliiddemann und Hans Kiister ausgefiihrt worden waren. Die Bedeutung
ihrer modernen Konstruktion wurde damais nur teilweise erkannt, sicherlich aufgrund ihrer ^erkleidung" in einem historisti-
schen Kostiim.

Môglicherweise unter dem EinfluB der Korrektur, die von den Konstrukteuren bereits bei der Bearbeitung des Modells
vorgenommen wurden, das auf der Posener Industrieausstellung 1911 gezeigt werden sollte, setzte Berg die Spannweite der
 
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