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ANDRZEJ WOZIŃSKI

MICHAEL AUS AUGSBURG, DER MEISTER PAUL UND DER EPILOG GOTISCHER PLASTIK

IN DANZIG

Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag wird das Werk von zwei beruhmtesten Danziger Kiinstlern des Spatmittelalters: Michael aus Augs-
burg und dem Meister Paul pràsentiert. Der Zweck dièses Beitrags heiBt zu versuchen, die bisherigen Festlegungen zu revidieren
sowie die sinnbildlichen Fragen, die Genèse der Form- und Stilgestaltung wie auch das Problem der kiinstlerischen Einwirkung
beider Kunstler im neuen Lichte erscheinen zu lassen.

Im ersten Teil wurde das Retabel Michaels aus Augsburg in der Danziger Marienkirche (1510-1517) besprochen. Erórtert
wurden die schópferische Konzeption dessen Schnitzelemente, dereń Ursprung, die Werkstatt des Bildhauers sowie die Stilgenese.
Die Bauart des Retabels Michaels aus Augsburg kennzeichnet sich durch einige sehr selten vorkommende bzw. untypische Merk-
male. Was hierfiir v.a. hervorzuheben ist, kamen darin neben der Plastik und Malerei auch die Goldschrhiedelemente in Anwendung
- die 1577 umgeschmolzenen silbernen Heiligenfiguren von den AuBenseiten der inneren Altarflugel. Das Polyptychon Michaels
aus Augsburg, wie auch dessen kunstlerisch recht schwache Replik - der Altaraufsatz aus Ostrowite [Osterwick] (Nationalmuseum
in Gdańsk), lassen die recht durftige Gruppe von Retabeln mit beiderseitig geschnitzten Innenflugeln erweitern; in beiden in Pom-
mera erhaltenen Kunstobjekten treten - nach der SchlieBung der Innenfliigel - die Reliefpartien direkt an den bemalten Darstellun-
gen auf den AuBenseiten des zweiten Fliigelpaares auf.

Die bildliche Struktur jedes Erscheinungsbildes des Danziger Altaraufsatzes zeichnet sich durch stark hierarchisch gepragte
Gliederung aus. Die narrative Hauptdarstellung im zentralen Altarteil, die beiderseits geschnitzten Pràsentationsvorstellungen der
Feiertagsseite - sind typisch fur norddeutsche Altaraufsàtze (Doberan, Oberwesel und Marienstatt, 14. Jh.), sie sind auch in zwei
niederlandischen Retabeln des lacques de Baerze, von der Kartause zu Champmol, 1399, zu finden (Musée des Beaux-Arts in
Dijon). Ais charakteristisches Merkmal siiddeutscher Provenienz der Feiertagsseite des Altaraufsatzes von Michael aus Augsburg
gilt das starkę Hervorheben der in der Mitte dargestellten Gruppe. Die einzelnen Komponenten des Baukórpers stammen aus
Siiddeutschland, sie finden jedoch ihre Wurzeln in der niederlandischen Kunst. Die Flugelkomposition kniipft an die niederdeut-
sche Tradition des 14. Ih. an.

Ais Inspirationsquelle im Hinblick auf die gesamte Komposition der Hauptszene im Retabel Michaels aus Augsburg konnte
das Epitaph Matthaus Landauers genannt werden, erstellt 1503 von Adam Kraft in der Sebalduskirche in Nurnberg. Die beiden
Gestalten: Gott der Vater und Christus in der Krónungsszene erinnern an die Holzschnitte Wolgemuts in „Schatzbehalter oder
Schrein...", 1491, sowie an diejenigen von Schedel „Weltchronik", 1493. Die kunstlerische Anordnung von Flachreliefs auf den
Fliigeln griinden sich auf Radierungen von Diirer, Hans Schaufelein, Schongauer und Hans Baldung. Wie aus den erhaltenen
Urkunden ersichtlich, war Michael aus Augsburg der Autor des Entwurfs fiir den Altaraufsatz, es ist jedoch schwer festzustellen,
inwieweit er sich persônlich an der Ausfuhrung des Retabels beteiligt haben konnte.

Derselben Werkstatt, welche die Schnitzerarbeiten am Retabel Michaels aus Augsburg ausgefiihrt haben sollte, ist man ge-
neigt, das Steinrelief im Hinterteil des Hauptaltars in der Marienkirche (Gdańsk), die Passion in der Katharinenkirche (Gdańsk), den
Erzengel aus der Michaelkapelle in der Johanneskirche (Nationalmuseum in Gdańsk) sowie die ungefahr 1514 einst ais chlusssteine
in der Danziger Franziskanerkirche erstellten Reliefs mit Wappenschildern des Kónigreichs Polen, Litauens, PreuBens koniglichen
Anteils und der Stadt Danzig zuzuschreiben. Die stilistischen Bestandteile dieser Bildwerke sind tief in den kunstlerischen Milieus
Frankens (Tilman Riemenschneider), Schwabens und Bayerns (der sog. „Parallelfaltenstil") verwurzelt. Auf diesem Grund ist zu
behaupten, dass der Kunstler seine Ausbildung ais Handwerker eben auf diesem Gebiet erworben habe sowie dass er wahrschein-
lich eben dort geboren sei.

Der darauffolgende Teil des Beitrags ist dem kunstlerischen Werk des Meister Pauls sowie dessen Werkstatt wie auch der
Genèse des dieser Werkstatt eigenen Stils gewidmet. Es ist zu vermuten, dass mit diesem Kunstler der in den schriftlichen Urkunden
der Stadt Danzig in den Jahren 1511-1526 aufgezeichnete „mester Pawi Syme" identisch sei. Es bestehen auch manche urkundlich
nachgewiesene und kunstlerische Voraussetzungen, die uns annehmen lassen, dass er seine Tàtigkeit ais Kunstler auch einige Zeit
in Konigsberg aktiv ausgeiibt haben konnte. Der Versuch, das gesamte schópferische Werk des Meister Pauls zu erfassen, beruht
auf dem Kriterium der stilistischen Àhnlichkeit mit den urkundlich nachgewiesenen Schnitzwerken dieses Kunstlers in der St.
Christophorus-Bank im Danziger Artushof: den mit Menschenkópfen verzierten Kapitellen aus der Zeit 1534-1536 sowie der Figur
des St. Christophorus von 1542. Dieselbe stilistische Konvention sowie technische und qualitative Pragung sind auch in einigen
Schnitzwerken OstpreuBens anzutreffen: Passion von 1517, Christus Salvator mundi und Schmerzensmutter (aile in der Danziger
Marienkirche), plastische Darstellung der Anbetung der Heiligen drei Kónige im Retabel bei St. Katharinen in Gdańsk (National-
museum in Gdańsk) sowie die verlorengegangene Heilige Familie aus Friedland.

Mehrere Bildwerke zeichnen sich vielfach durch die damit verwandten stilistisch-formalen Eigenschaften aus: Maria mit dem
Christusknaben in Waplewo [Grosswaplitz], die sich einst laut Hypothesen im Gesprenge des Altaraufsatzes Michaels aus Augs-
burg befunden haben sollte, Kreuzigung Christi in Grójec bei Warschau, Passion in Słupsk [Stolpen], das mit der Datierung „1515"
versehene Tryptychon - der sog. Mestwin-Altar in der Pramonstratenserinnenkirche in Żukowo [Zuckau] bei Kartuzy [Karthaus]
sowie das Relief mit der Darstellung der Anbetung der Heiligen Drei Kónige in der Kirche in Lalkowy [Lalkau] (Diózesamuseum
in Pelplin). Ali diese Bildwerke kónnen einem der Mitarbeiter des Meister Pauls zugeschrieben werden. In seiner Werkstatt sollte
allerdings eine Partie von Holzschnitzarbeiten von 1536 fiir die Marienburger Bank im Artushof entstanden sein: einige Kapitelle
sowie die bildliche Darstellung der Wurzeln Jesses in Rahmen der Bilder von Martin Schoninck: Maria mit dem Christusknaben
und Salvator mundi. Mit der Werkstatt des Meister Pauls kann daruber hinaus auch die Passion in der Nikolauskirche in Gdańsk,
Maria mit dem Christusknaben in Nowy Staw [Neuteich] und Goręczyn [Gorrenschin], die fur den Altaraufsatz in Niedźwiedzica
[Bârwalde] bei Marienburg geschnitzten Figuren, sowie vielleicht auch Maria mit dem Christusknaben im OstpreuBischen Landes-
 
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