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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0128
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SCÜLPTUR.

I23

Fig. 44. Koptischer Grabstein; Kalk. Museum in Gize.

über denen ein (größtentheils abgebrochener)
Dreieckgiebel mit einem Pfauenpaare darin
sich erhob. Sowohl die menschliche Figur als
die Blätter der Pilasterranken sind scharf
gegen den Raumgrund abgesetzt, aber inner-
halb ihrer Fläche von keinerlei taktisch-
verbindenden Ausladungen oder Einzie-
hungen unterbrochen; die wenigen Falten-
begrenzungen sind in senkrechten Linien ein-
graviert. Die Theilflächen sind somit durch
optisch wahrnehmbare Räume getrennt,
nicht durch taktische Übergänge verbunden.
Zwischen den Blättern der Pilasterranken
ist die Grundfläche noch völlig im Geiste des
lateranischen Pilasters (Fig. 10) auf das
geringste eingeschränkt; die technische
Arbeit nähert sich dem Relief en creux.

Auch für die Kunst der Altegypter war
ein Relief en creux charakteristisch gewesen;
wir sehen also hier abermals spätrömische
und altegyptische Kunst in einem auffallenden Punkte enge zusammentreffen. Nichts vermag aber
eindringlicher über den diametralen Gegensatz zwischen der Anfangs- und der Schlussphase der
Kunst des Alterthums aufzuklären, als ein Vergleich der koptischen Reliefs mit den altegyp-
tischen: an diesen grundsätzliche Krummnächigkeit, aber unter Reducierung der Schatten auf
die denkbar schwächsten, breitesten Halbschatten (taktische Ebene); an den koptischen
Reliefs grundsätzliche absolute Ebene, aber unter Anbringung tiefster, schmälster Schatten da-
zwischen (optische Ebene); —■ an den altegyptischen Reliefs organisches Heraustauchen des
Reliefs aus dem Grunde unter spitzem Winkel (Verbindung mit der Grundebene), an den
koptischen schroffes Absetzen des Reliefs gegen den Grund unter geradem Winkel (Isolierung
gegenüber der Grundebene).

Außer den genannten Eigenthümlichkeiten weist der im Museum zu Gize befindliche Grab-
stein Fig. 44 noch die fernere auf, dass das (Akanthus)-Ornament in den Giebelzwickeln stellen-
weise dicht zusammengedrängt ist, so dass möglichst wenig Grund dazwischen sichtbar wird,
aber daneben weite Strecken Raumgrundes völlig frei bleiben. Es ist dies dieselbe Erscheinuno-,
die wir auf dem Gebiete der Figurencomposition schon an früherer Stelle (S. 75) beobachtet
haben: entweder womöglich gar keine Grundfläche (das heißt dichter rhythmischer Wechsel von
Muster und Grund, Hell und Dunkel) oder sehr viel freier Grund (der dann idealen Raum
bedeutet), dagegen grundsätzliche Vermeidung der abgewogenen Vertheilung des Musters im
Grunde, wie es das classische Kunstwollen durchaus verlangt hatte.

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